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Aus: Ausbildung, Beilage der jW vom 03.09.2025
Duale Berufsausbildung

Angestellt, ausgebeutet, aufgerieben

Immer weniger junge Leute beginnen eine Ausbildung, immer mehr Azubis können von ihrem Gehalt nicht leben
Von Gudrun Giese
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Du hast Dich doch früher so für Tiere interessiert, wäre das nichts für Dich?

Die Zahl abgeschlossener Ausbildungsverträge ist im vergangenen Jahr erneut gesunken. Und die gezahlten Ausbildungsvergütungen reichen oft nicht, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Im Jahr 2024 wurden insgesamt 475.100 neue Ausbildungsverträge abgeschlossen, meldete Ende August das Statistische Bundesamt (Destatis). Das war gegenüber 2023 ein Rückgang um ein Prozent. Bei deutschen Auszubildenden ging die Zahl der Neuverträge um vier Prozent zurück, während sie bei jungen Menschen mit anderer Staatsangehörigkeit um 17 Prozent anstieg. Das bestätige auch der Trend der zurückliegenden zehn Jahre, so Destatis:

Insgesamt ging die Anzahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge den Angaben der Wiesbadener Statistiker zufolge zwischen 2014 und 2024 um acht Prozent zurück. Gleichzeitig sei der Anteil von Auszubildenden mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit gestiegen. Offenkundig spiegelt das deutlich den demographischen Wandel und die Zuwanderung der vergangenen Jahre wider, und das, obwohl Migranten bei der Ausbildungssuche nachweislich benachteiligt werden. Beliebteste Ausbildungen bei Frauen waren die zur Medizinischen Fachangestellten, zur Kauffrau für Büromanagement und zur Zahnmedizinischen Fachangestellten; bei Männern die zum Kraftfahrzeugmechatroniker, Fachinformatiker und Elektroniker.

Zukunft als Luxus

Bei der Entscheidung für eine Ausbildung sind nicht allein persönliche Neigungen und Aufstiegsperspektiven ausschlaggebend, sondern auch die Vergütung während der Ausbildungsjahre. Nach der letzten Erhebung des Statistikamtes vom April 2024 erhielten Auszubildende in Deutschland über alle Ausbildungsjahre hinweg ohne Sonderzahlungen durchschnittlich 1.238 Euro brutto monatlich, wobei Frauen mit dem Durchschnittswert 1.302 Euro etwas besser abschnitten als Männer mit 1.187 Euro. Allerdings schwanken die Vergütungen stark je nach Ausbildungsberuf und Betriebsgröße. An der Spitze der Einkommensskala lagen 2024 junge Männer und Frauen, die eine Ausbildung in Gesundheits- und Pflegeberufen absolvierten; sie erhielten durchschnittlich 1.310 Euro brutto. Auch Ausbildungen in Schiffahrtsberufen, etwa zum Schiffbauer, standen mit 1.236 Euro ziemlich weit oben.

Deutlich geringer fiel die Vergütung in künstlerischen Ausbildungen etwa in den Sektoren Musik, Fotografie oder Grafikdesign mit einem monatlichen Bruttoverdienst von durchschnittlich 914 Euro aus. Besonders gut gestellt sind – zumindest im statistischen Durchschnitt – Auszubildende, die in einem Unternehmen mit 1.000 und mehr Beschäftigten arbeiten: Dort gibt es durchschnittlich 1.494 Euro monatlich. In kleinen Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten liegt das durchschnittliche Monatsbrutto hingegen nur bei 929 Euro.

Allerdings geben diese Zahlen die gemittelten Werte aller Ausbildungsjahrgänge wieder. Gerade zu Beginn einer Ausbildung erhalten viele junge Menschen deutlich weniger Geld, stellt der kürzlich veröffentlichte Ausbildungsreport der DGB-Jugend fest. Danach haben 62,8 Prozent der Auszubildenden Probleme, von ihrer Vergütung selbständig zu leben, was einem Anstieg um sechs Prozentpunkte gegenüber 2020 entspricht. 31,9 Prozent der Auszubildenden sind auf finanzielle Hilfe ihrer Eltern angewiesen, 12,7 Prozent müssen neben der Ausbildung noch jobben.

»Wenn Ausbildung zu etwas wird, was sich junge Menschen erst ›leisten können‹ müssen, ist das nicht nur Ausdruck mangelnder Wertschätzung – es steht auch unseren Bemühungen entgegen, den Fachkräftemangel zu bekämpfen«, kritisierte Bundesjugendsekretär Kristof Becker. Die DGB-Jugend fordere deshalb, die gesetzliche Mindestausbildungsvergütung außerplanmäßig auf achtzig Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütung zu erhöhen. Für Auszubildende, die 2025 in die duale Berufsausbildung starten, wären das mindestens 834 Euro statt 682 Euro brutto, die aktuell das Minimum darstellen.

Überstunden und Kaffeekochen

Die duale Berufsausbildung sieht der DGB dennoch grundsätzlich als Erfolgsmodell. So hätten sich 71,6 Prozent der zwischen September 2024 und April 2025 befragten 9.090 Auszubildenden, die repräsentativ aus den 25 am häufigsten gewählten Berufen ausgewählt worden waren, zufrieden mit ihrer Ausbildung gezeigt. Weniger gut sei der Umstand, dass nur ein Teil der jungen Menschen die Angebote der Arbeitsagenturen sowie der schulischen Berufsorientierung als hilfreich wahrnehme und statt dessen eher bei der Ausbildungsplatzsuche auf Tips von Freunden und Familie zurückgreife.

Für den Ausbildungsreport wurden die Teilnehmer auch zur Qualität ihrer Ausbildung befragt. Die habe sich im Durchschnitt verbessert. So müssten weniger Auszubildende Überstunden leisten, ihr Anteil sei mit 32,3 Prozent aber immer noch auf einem bedenklich hohen Niveau, befand der DGB. Mehrarbeit fällt vor allem für angehende Köche mit 50,6 Prozent, für künftige Automobilkaufleute mit 49,1 Prozent und für Bankkaufleute in spe mit 45,8 Prozent an. 14,7 Prozent der Befragten gaben an, dass sie immer oder häufig ausbildungsfremde Aufgaben wie Kaffeekochen oder Putzen übernehmen müssen.

»Für die Azubis heißt das ganz einfach, dass ihnen Zeit für die eigentlichen Ausbildungsinhalte fehlt«, unterstrich DGB-Bundesjugendsekretär Kristof Becker. Das gefährde einen erfolgreichen Ausbildungsabschluss. Angesichts der unterschiedlichen Bedingungen ist es nicht verwunderlich, dass die Zufriedenheit mit dem Ausbildungsberuf stark schwankt: Mehr als achtzig Prozent der künftigen Steuerfachangestellten, Elektroniker für Betriebstechnik, Mechatroniker, Bankkaufleute und Verwaltungsfachangestellten bezeichneten sich selbst als sehr zufrieden mit ihrer Ausbildung. Bei den angehenden Hotelfachleuten und Friseuren traf diese Wertung nur auf rund sechzig Prozent zu.

Ohne Abschluss chancenlos

Die Chefs müssten in manchen Branchen mehr für gute Ausbildungsbedingungen tun, so Becker. Bei vielen Auszubildenden habe die Unsicherheit über ihre berufliche Perspektive zugenommen. So wüssten 41,5 Prozent von ihnen auch im letzten Ausbildungsjahr noch nicht, ob sie vom Betrieb übernommen werden. Das treffe besonders stark Hotelfachleute und Verkaufspersonal.

Starken Handlungsbedarf gebe es vor allem, etwas für junge Menschen ohne Ausbildungsplatz zu tun, betonte bei der Vorstellung des Reports die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack. »Während die Wirtschaft zunehmend über fehlende Fachkräfte klagt, haben gleichzeitig knapp drei Millionen junge Menschen in unserem Land keinen Berufsabschluss.« Das sei widersprüchlich und nur aufzulösen, wenn Politik und Wirtschaft aktiv etwas dagegen unternähmen. Nötig seien eine verbesserte Ausbildungsgarantie und mehr Betriebe, die dem Nachwuchs die Chance zu einer Ausbildung gäben, so Hannack. »Ohne Berufsabschluss droht den jungen Menschen deutlich häufiger ein Leben in Armut, mit längeren Phasen von Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung.«

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