26.04.2024 / Ausland / Seite 6

Denkpause für Sánchez

Spanien: Korruptionsvorwürfe bringen Ministerpräsidenten in Erklärungsnot

Jörg Tiedjen

Spaniens sozialdemokratischer Regierungschef Pedro Sánchez ist in Schwierigkeiten. »Ich muss innehalten und nachdenken«, schrieb er am Mittwoch abend auf X. Dabei wolle er entscheiden, ob er »weiter die Regierung führen oder diese Ehre aufgeben soll«. Er werde seine Entscheidung am Montag verkünden, erklärte der Regierungschef. Bis dahin seien alle seine Termine gestrichen. Grund für die selbstverordnete Denkpause ist Sánchez’ Frau Begoña Gómez. Mittwoch morgen hatte die Zeitung El Confidencial bekanntgemacht, dass ein Madrider Gericht eine Ermittlung gegen sie eingeleitet habe, »um ihre Beziehungen zu mehreren Privatunternehmen zu untersuchen, die von der Regierung ihres Mannes Gelder und öffentliche Aufträge erhalten haben. In dem Verfahren geht es um die mutmaßliche Begehung von Straftaten der Einflussnahme und Korruption im privaten Sektor«. Der Bericht des Onlinemediums wurde von dem Gericht unmittelbar im Anschluss bestätigt.

Laut El Confidencial soll Goméz im Jahr 2020 nicht nur als Leiterin der Afrika-Abteilung der privaten IE University einen Sponsorenvertrag mit dem Tourismusunternehmen Globalia unterzeichnet, sondern sich auch privat mit dem Chef der Reisefirma, Javier Hidalgo, getroffen haben. Zur gleichen Zeit habe Globalia mit der spanischen Regierung über ein millionenschweres Rettungspaket zur Bewältigung der Coronakrise verhandelt. »Schließlich gewährte die Regierung Sánchez der Fluggesellschaft der Familie Hidalgo, Air Europa, eine Beihilfe von 475 Millionen Euro«, schrieb die Internetzeitung und hob hervor: »Kein anderes privates Unternehmen erhielt soviel Geld.«

Außerdem soll Gómez im gleichen Jahr zwei Empfehlungsschreiben für das Joint Venture UTE unterzeichnet haben, das sich damals beim Wirtschaftsministerium um einen öffentlichen Auftrag bewarb. Der Hauptaktionär von UTE ist der Geschäftsmann und Unternehmensberater Carlos Barrabés, der an der Einrichtung eines Studiengangs an der Universität Complutense in Madrid beteiligt war, den Gómez heute leitet. UTE habe sich bei der Ausschreibung »gegen fast zwanzig Konkurrenten« durchgesetzt. »Insgesamt erhielt Barrabés 10,2 Millionen Euro in einer für das Unternehmen wegen der Covidfolgen besonders kritischen Zeit. UTE hatte zwar nicht das günstigste Angebot abgegeben, aber bei der subjektiven Bewertung die höchste Punktzahl erreicht«, rekapituliert El Confidencial.

Die Vorwürfe wirken schwerwiegend. Spekulationen über Gómez’ Aktivitäten hatte es seit längerem etwa mit Blick auf Sánchez’ dezidiert marokkofreundliche Politik gegeben, die ohne ein »Druckmittel« Rabats kaum erklärlich schien. Am selben Tag nutzte die Opposition im spanischen Parlament die Anschuldigungen, um den Premier, der insbesondere wegen des Amnestiegesetzes für katalanische Unabhängigkeitsbefürworter rechterseits unter Beschuss steht, sich aber auch gegenüber Israel rhetorisch weit aus dem Fenster lehnte, zur Rede zu stellen und von ihm eine Erklärung zu verlangen. Die ist nun vorerst verschoben.

Misstrauisch stimmen muss allerdings die Quelle der Vorhaltungen. Wie das Gericht bestätigte, wurde die Anzeige gegen Gómez von »Manos Limpias« (Saubere Hände) gestellt. Die angeblichen Korruptionsbekämpfer werden aber der extremen Rechten zugeordnet. So sprachen Vertreter von Sánchez sozialdemokratischer Partei PSOE wie Finanzministerin María Montero am Mittwoch im Parlament davon, dass man nicht zulassen werde, »dass Trumpismus die Demokratie untergräbt«. Sie beschuldigte die oppositionelle Volkspartei (PP), »die Anzeige einer extrem rechten Organisation« zu nutzen, »um die Regierung zu diffamieren und zu verleumden«.

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