25.04.2024 / Ausland / Seite 7

Unis im Ausnahmezustand

USA: Proteste gegen Gazakrieg greifen auf immer mehr Hochschulen über. Studenten lassen sich durch Repressionen nicht einschüchtern

Dominik Wetzel

Ob gegen den Vietnamkrieg, die Unterstützung der US-Regierung für die Apartheid in Südafrika oder für den Ausstieg aus klimaschädlichen Industrien – Studentenproteste spielen nicht nur in den USA seit jeher eine zentrale politische Rolle. Auch die Studenten, die in weiten Teilen der USA Protestcamps gegen die Mittäterschaft ihrer Regierung beim Krieg Israels gegen die Palästinenser bezogen haben, stehen in dieser Tradition. Ihre zentrale Forderung ist der »Kapitalabzug aus allen Unternehmen, die von der israelischen Apartheid, dem Völkermord und der Besetzung in Palästina profitieren«. Das verkündeten die »Columbia-Studenten für Gerechtigkeit in Palästina« in einer Presseerklärung am Montag.

Die Columbia-Universität im New Yorker Stadtteil Manhattan steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Dort hatten Studenten vergangenen Donnerstag ein Protestcamp eingerichtet, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Die Universität reagierte prompt. Die New Yorker Polizei (NYPD) begann, das Gelände zu räumen, und nahm dabei mehr als 100 propalästinensische Demonstranten fest. Der Präsenzunterricht wurde unterdessen ausgesetzt.

Der Polizeieinsatz fachte die Proteste jedoch weiter an. Tatsächlich haben sich die Studenten trotz Repressionen bisher nicht nachhaltig vertreiben lassen. Mit jedem neuen Eingreifen der Polizei entstehen nicht nur in New York, sondern auch an einigen anderen Universitäten im Land neue, größere Protestcamps. Auch an der Universität Berkeley in Kalifornien, am Massachusetts Institute of Technology und der Universität Michigan sind bereits entsprechende Zeltlager entstanden. An einigen Hochschulen wie der Humboldt California State Polytechnic University kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei.

Viele US-Universitäten haben Milliarden US-Dollar zur Verfügung. Sie können daher entscheidende gesellschaftliche Entwicklungen beeinflussen. So war es ein wichtiger Schritt weg von fossilen Brennstoffen, als die Universität Harvard im Jahr 2021 beschloss, sich von Investitionen in dem Bereich zu verabschieden. Aber auch, woher die Hochschulen ihre Finanzmittel beziehen, ist nicht unerheblich. Viele stammen aus Bereichen der Wirtschaft, die eng mit Israel verbunden sind. Im Oktober hatte die Columbia-Universität ihren Geschäftsabschluss für 2023 vorgelegt und ein Nettovermögen von 18,7 Milliarden US-Dollar angegeben. Eine gesellschaftliche Bewegung zum wirtschaftlichen Boykott des Staats Israel wäre für die strategischen Interessen der streng mit Israel alliierten US-Regierung ebenso gefährlich wie für die Finanzen der Hochschulen. Die zentrale Forderung an die Universitätsspitzen nach »Boykott und Desinvestitionen« könnte einen Dominoeffekt auslösen.

Dass sich US-Präsident Joseph Biden am Sonntag zu der Sache äußerte, zeigt deutlich, dass die Proteste einen Nerv treffen. Er erklärte: »Dieser unverhohlene Antisemitismus ist verwerflich und gefährlich – und er hat auf dem Campus oder irgendwo anders in unserem Land absolut keinen Platz.« Die Vorwürfe wirken konstruiert, denn Aufnahmen vom Wochenende zeigen jüdische Demonstrierende, die nicht nur an den Protesten teilnehmen, sondern sogar gemeinsam mit anderen in dem Camp das Pessachfest feiern.

Für Aufsehen sorgte Columbia-Assistenzprofessor Shai Davidai. Am Montag schrieb er auf X, dass die Universität ihn wegen der anhaltenden Proteste nicht auf den Campus gelassen habe: »Warum? Weil sie meine Sicherheit als jüdischer Professor nicht schützen können. Das ist 1938.« Er scheint jedoch in anderer Hinsicht von den Protesten betroffen zu sein. Wie Recherchen der unabhängigen US-Medien Mintpress News und Counterpunch ergaben, ist sein Vater Eli Davidai im Aufsichtsrat des Waffenproduzenten ARC Group Worldwide, der von einer Divestmentbewegung in den USA wohl auch betroffen wäre.

Die Columbia-Präsidentin Minouche Shafik hat den Pro-Palästina-Demonstranten am Dienstag zunächst ein wenig nachgegeben und ihnen weitere 48 Stunden gegeben, den Platz zu räumen. Bei Nichteinhaltung solle die Nationalgarde eingesetzt werden.

https://www.jungewelt.de/artikel/474085.friedensbewegung-unis-im-ausnahmezustand.html