23.04.2024 / Natur & Wissenschaft / Seite 15

Die Welt, ein Käse

Das Universum besteht zum großen Teil aus Löchern. Die Forschung daran hat gerade erst begonnen

Felix Bartels

Zur vollkommenen Leere befragt man Stanisław Lem, Hegel oder einen Astrophysiker. Räume sind ja eine seltsame Sache. Man denkt an Länge-Höhe-Breite, aber ein Raum, in dem nichts ist, ist gar nicht. Womit er dann auch nicht lang, hoch oder breit sein kann. Wäre das Weltall ganz leer, existierte es nicht. Dagegen haben leere Räume innerhalb des Weltalls, umgeben von gefüllten Räumen (sofern beim spärlichen Bewuchs des Kosmos von Füllung sich sprechen lässt), wenigstens eins: eine Ausdehnung.

Im Universum befinden sich von dieser Art erstaunlich viele, es besteht zu beträchtlichen Teilen aus riesigen leeren Blasen (Voids), die durch die Anordnung von Galaxien ­konstituiert sind. Bemerkenswert nämlich: Die Galaxien des ­Universums, die in kleineren Skalen Cluster bilden, verteilen sich auf den großen Skalen nicht gleichmäßig, sie sammeln sich entlang dünner Filamente, so dass der Weltraum aufs Ganze besehen einem Laib Käse gleicht, der vor allem aus Löchern besteht.

Doch genau weil diese Voids so wenig enthalten, könnte in ihnen etwas enthalten sein, das sich im gefüllten Raum nicht finden lässt: Antworten auf bislang ungelöste Fragen um Dunkle Energie, Dunkle Materie und Neutrinos. Auch die Funktionen der Allgemeinen Relativitätstheorie könnten anhand der Voids endlich auf großen Skalen getestet werden. Wie das Wissenschaftsmagazin Spektrum berichtet, sind derzeit zahlreiche Projekte am Start, die die neueren Kartierungen wissenschaftlich nutzen sollen. Die zugrundeliegenden Daten stammen von der Astrophysikerin ­Alice Pisani (Princeton University). 2022 hat die Informatikerin Bonny Yue Wang (Cooper Union, New York) diese Daten in einer dreidimensionalen Karte visualisiert. Dass Voids überhaupt existieren, weiß man seit den 1980er Jahren, dass es so viele sind, erst seit der neueren Kartierung. 2011, als »ich mit meiner Doktorarbeit anfing, waren weniger als 300 Voids bekannt, heute wissen wir von mehr als 6.000«, berichtet Pisani. Die größten davon haben Durchmesser von mehreren hundert Millionen Lichtjahren.

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