23.04.2024 / Kapital & Arbeit / Seite 9

Ultimatum für Tik Tok

Washington will Social-Media-Plattform unter US-Kontrolle bringen, um Einfluss Chinas zu begrenzen. Nur: Auch Präsident Biden nutzt Kurzvideo-App

Sebastian Edinger

Bereits zum zweiten Mal hat das US-Repräsentantenhaus am Sonnabend ein Gesetz verabschiedet, das einen Eigentümerwechsel der Social-Media-Plattform Tik Tok erzwingen soll, um diese unter US-amerikanische Kontrolle zu bringen. Dem chinesischen Mutterkonzern Bytedance wird darin ein Ultimatum von drei Monaten gestellt, um den Dienst zu verkaufen. Andernfalls wolle man die einheimischen Techriesen Google und Microsoft nötigen, den vor allem bei Jugendlichen populären Dienst aus den jeweiligen App-Stores zu verbannen.

Schließlich sei die Plattform eine »Gefahr für die nationale Sicherheit«, heißt es zur Begründung. Dieses Argument könnte gemäß US-Recht ein entsprechend harsches Vorgehen rechtfertigen. Behauptet wird etwa, die chinesische Regierung könne die Weitergabe von US-amerikanischen Nutzerdaten verlangen oder über die Kurzvideo-App US-Bürger manipulieren. Beweise dafür wurden allerdings nie vorgelegt, während umgekehrt in den USA die Nachrichtendienste per Gesetz dazu befugt sind, Daten von ausländischen Bürgern abzugreifen, sobald diese auf Servern einheimischer Konzerne liegen – und davon nachweislich umfassend Gebrauch machen.

Auf offiziellen Endgeräten der US-Regierung und untergeordneter Behörden ist Tik Tok schon seit einigen Monaten verboten. Doch die Beliebtheit der Facebook-Konkurrenz ist groß – mittlerweile hat sie in den USA rund 170 Millionen Nutzer. Zu diesen zählt aller Empörung zum Trotz seit Februar auch Präsident Joseph Biden. Schließlich gilt die Plattform als unverzichtbar, wenn es darum geht, junge Wähler zu erreichen und diesen »wichtige Botschaften« zu vermitteln. Gleich in Bidens erstem Video konnte die Jugend etwa erfahren, dass der Präsident beim Super Bowl lieber das Spiel sieht, als die Halbzeitshow.

Dass das Anti-Tik-Tok-Gesetz nun schon zum zweiten Mal auf den Weg gebracht wurde, liegt daran, dass die erste Version im Senat festhängt. Deshalb wechselten die Abgeordneten nun die Strategie und koppelten die Novelle an die Freigabe von 95 Milliarden US-Dollar, die zur Verfolgung geopolitischer Ziele Washingtons an die Ukraine, Israel und Taiwan verteilt werden sollen. Kritik an diesem Vorgehen kam am Wochenende unter anderem von Tik Tok selbst: Es sei bedauerlich, dass das Repräsentantenhaus versuche, »unter dem Deckmantel wichtiger ausländischer und humanitärer Hilfe erneut ein Verbotsgesetz durchzudrücken«, erklärte ein Unternehmenssprecher.

Weiter hieß es seitens Tik Tok, der Social-Media-Dienst trage »jährlich 24 Milliarden Dollar zur US-Wirtschaft bei«. Dabei wird besonders mit den zahlreichen kleinen und mittelständischen Werbekunden argumentiert. Die Führung des Unternehmens hat ferner stets bestritten, verpflichtet zu sein, Daten an die Regierung in Beijing weiterzugeben. Am Wochenende hatte Firmenchef Shou Chew in Reaktion auf das Votum im Repräsentantenhaus angekündigt, sich wehren zu wollen. Man werde »alles mögliche« unternehmen – und rechtliche Mittel einsetzen, um Tik Tok zu verteidigen.

Für die US-Politik stellt sich derweil auch die Frage, wer die App eigentlich kaufen soll. Eine Möglichkeit wäre ein großer einheimischer Techkonzern wie Meta oder Apple – doch das wäre wettbewerbsrechtlich schwierig. An einer Alternative tüftelt offenbar US-Finanzminister Steven Mnuchin. Der gab bereits im März bekannt, eine Investorengruppe organisieren wollen. Ziel sei es, die App auf Basis von US-Technologie komplett neu zu programmieren.

Zunehmend zum Politikum wird Tik Tok nicht nur in den USA. In der BRD entwickelt sich eine recht ähnliche Gemengelage. Auch hierzulande setzen Spitzenpolitiker zunehmend auf den Dienst, um junge Wähler zu erreichen. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) tauchte vor zwei Wochen plötzlich auf der Plattform auf. Gleichzeitig werden die Rufe nach protektionistischen Maßnahmen gegen die Plattform und ihren chinesischen Mutterkonzern lauter: »Sofern eine schärfere Regulierung nicht effizient umsetzbar ist, halte ich die Überlegung für ein grundsätzliches Verbot von Tik Tok für nötig«, verlautbarte zuletzt am vergangenen Donnerstag CDU-Hardliner Roderich Kiesewetter im Handelsblatt.

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