23.04.2024 / Inland / Seite 4

Manöver auf Höhepunkt

Großübung »Quadriga«: Bundeswehr kündigt sichtbare Militärpräsenz wegen Truppenverlegungen nach Osten an

Marc Bebenroth

Offiziell geht es darum, den nächsten großen Krieg auf europäischem Boden noch in letzter Minute zu verhindern – durch enorme Truppenverlegungen bis vor Russlands Haustür. Am Montag hat die »sichtbare Hochphase« der Serie von NATO-Teilmanövern namens »Quadriga 2024« begonnen, wie es Generalinspekteur Carsten Breuer in Berlin gegenüber Journalisten ausdrückte. Mit »Quadriga« und dem übergeordneten Großmanöver »Steadfast Defender« (»Standhafter Verteidiger«) übt die Kriegsallianz, große Truppenkontingente an die östliche Grenze des NATO-Gebiets zu transportieren. Laut Bundeswehr handelt es sich bei »Quadriga 2024« um die größte Übung deutscher Landstreitkräfte seit dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine Ende Februar 2022.

Die Bundesrepublik soll sich dabei als logistische NATO-Drehscheibe beweisen. Jene Militärübung, an der sich mehr als 12.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr beteiligen, soll bis Ende Mai andauern. Insgesamt seien in den kommenden Wochen öffentlich deutlich mehr Militärfahrzeuge zu beobachten als sonst, sagte Breuer. Für Freitag beispielsweise sei mit einer größeren Einschiffung im Hafen von Rostock zu rechnen. Man werde »der Bevölkerung einiges zumuten«, mit Blick auf die Präsenz von Militär im öffentlichen Raum. Breuer bat die Öffentlichkeit darum, Kolonnen auf den Autobahnen möglichst Vorrang zu gewähren.

Seit Januar wiederum laufe mit »Steadfast Defender« bereits die seit Jahrzehnten größte NATO-Übung, ergänzte Generalleutnant Alexander Sollfrank, Kommandeur des Joint Support and Enabling Command (JSEC). »Enablement« (»Ermöglichung«) ist laut Sollfrank dabei der zentrale Faktor. Hier komme der BRD große Bedeutung zu. Insgesamt fungierten die Manöver »als ein klares Signal der Abschreckung an jeden Aggressor«, betonte der JSEC-Kommandeur. »Wir müssen uns hier für den Verteidigungsfall vorbereiten.« Ziel sei es, Streitkräfte und logistische sowie bürokratische Abläufe auf ein Artikel-5-Szenario hin zu »optimieren«.

Was gemeinhin als kollektiver Kriegseintritt aller NATO-Mitglieder nach Angriff auf mindestens einen Mitgliedstaat verstanden wird, ist tatsächlich die Verpflichtung aller Vertragsstaaten, abgestimmt, aber nach eigenem Ermessen Maßnahmen zu ergreifen, »um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und aufrechtzuerhalten«, wie es in Art. 5 des Nordatlantikvertrags vom 4. April 1949 heißt. Diese Maßnahmen können, aber müssen nicht die Anwendung von Waffengewalt beinhalten.

Man wolle in dem Übungsszenario mit der möglichst schnellen und reibungslosen Verlegung großer Truppenkontingente einem Angriff des – klar als Russland codierten – Aggressors vorgreifen, wie Generalleutnant Sollfrank erklärte, also bevor jener »Bündnisfall« ausgerufen wäre. Auf Nachfrage von junge Welt, welches konkrete Ausgangsszenario auf der gegnerischen Seite für diese NATO-Großübung gilt, erklärten die Bundeswehr-Offiziere, dass neben einem direkten Angriff auch eine Militärübung oder die Stationierung neuer Truppen seitens des Gegners (Russlands) als Auslöser für eine Verlegung gelten kann.

Mit dieser Logik könnte sich »der Aggressor« ebenso bedroht fühlen, schließlich sehen diese Pläne der NATO vor, US-Militär über den Atlantik in den Osten Europas zu verlegen. Einmal dort stationiert, bleibt fraglich, ob die Wirkung Abschreckung oder Provokation sein wird. Offen blieb am Montag auch die Frage, ob die »Drehscheibe Deutschland« durch ihre strategische Rolle im NATO-Gefüge nicht auch als »Zielscheibe Deutschland« im Ernstfall ebenso große Bedeutung bekommt wie die, die ihrem »Enablement« in den Manövern zugeschrieben wird.

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