22.04.2024 / Inland / Seite 4

Standgericht im Stadion

Sportministerkonferenz in Saarbrücken: Beschluss gegen »Fangewalt« vor EM-Start in BRD. Fanhilfe und Anwalt kritisieren Kollektivstrafen

Oliver Rast

Es wirkt wie ein illustres Kaffeekränzchen mit Gebäck. Aber Obacht, im großen Saal des barocken Saarbrücker Schlosses tagt die Sportministerkonferenz (SMK) der 16 Länder und des Bundes. Neben Speis und Trank liegen Laptops und Aktenordner auf dem Tisch, alles dicht gedrängt. Einige Amtsträger machen sich handschriftliche Notizen auf Skripten, andere bedienen mit flinken Fingern die Tastatur ihres Klapprechners. »Klare Signale« sollten am vergangenen Donnerstag aus der saarländischen Landeshauptstadt ausgesendet werden, betonte der SMK-Vorsitzende Joachim Herrmann (CSU). Auf die hätten aktive Fans gerne verzichtet.

Denn: Die Ressortchefs, die bekanntlich zugleich Innenminister bzw. -senatoren sind, präsentierten einen Zehnpunktebeschluss unter der Headline »Fußball ohne Gewalt«. Nein, nicht Übergriffe von Einsatzkräften auf Stadionbesucher waren gemeint. Die SMK erwarte vielmehr, dass Verbände und Profiklubs »sich gegen jegliche Gewalt und Diskreditierung von Polizistinnen und Polizisten positionieren«. Das ist längst nicht alles. Bei »schweren Pyrovorfällen und gravierenden Ausschreitungen« seien Spielabbrüche, Punktabzüge oder (Teil-)Ausschlüsse von Fans berechtigt. Kollektivstrafen eben. Und um eine »konsequente und nachhaltige Strafverfolgung« in den Stadien zu ermöglichen, brauche es ferner »spezialisierte ›Fußballstaatsanwälte‹«.

Wie reagierten die Verbände? Zunächst gelassen. Den SMK-Beschluss hätten Deutscher Fußballbund (DFB) und Deutsche Fußballiga (DFL) zur Kenntnis genommen, hieß es seitens des Verbändeduos am Donnerstag. Zumal kein Grund für Alarmismus bestehe: »Das Stadionerlebnis in Deutschland ist sehr sicher.« Zahlen der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) belegten dies. Beispiel Saison 2022/23: Rund 26,5 Millionen Menschen haben die Matches der ersten drei Profiligen samt DFB-Pokal und UEFA-Klubwettbewerben besucht. Dabei seien insgesamt 1.176 Personen verletzt worden – »in relativen Zahlen 0,00444 Prozent«.

Dennoch, auch der DFB dreht munter an der Eskalationsspirale. Nicht nur, dass der Verband Spielzeit für Spielzeit in Hunderten Verfahren mittels seiner »DFB-Sportgerichtsbarkeit« Strafen in Millionenhöhe gegen Vereine wegen »pyrotechnischer Vorkommnisse« in den Arenen verhängt. Mehr noch, die kürzlich gegründete »AG Stadionsicherheit« hat nur einen Zweck: die rebellischen Kurven kleinzukriegen.

Das wissen gleichfalls Vertreter der Fanhilfen. Und dazu passt der SMK-Beschluss. Er sei ein weiterer Beleg der Fehlentwicklung im deutschen Profifußball, sagte Karsten Schmitz von der Braun-Weißen Hilfe vom FC St. Pauli am Sonntag im jW-Gespräch. Das Papier der Minister und Senatoren aus dem Sportressort sehe vor allem »repressive Mittel« vor. Kollektivstrafen orientierten »auf die Gesamtheit der Fans«, sie seien weder zielführend noch verhältnismäßig. Statt dessen gelte es, »die Rechte von Anhängern zu stärken und Räume der Fankultur zu erhalten«, so der Fanhelfer vom »Kiezklub«.

Als Scharfmacher geriert sich zudem Marco Buschmann (FDP). Der Bundesjustizminister hatte bereits Ende März gefordert: Für »Krawalltouristen« bei der Europameisterschaft (EM) im Sommer in der BRD müsse die »Strafe auf dem Fuße« folgen. Ad hoc eingerichtete Staatsanwaltschaften an EM-Spielstätten seien dabei eine Option. Eine, die die SMK nun offensiv weiterverfolgt. Fananwalt René Lau kommentierte das am Sonntag auf jW-Nachfrage so: »Wenn ich die Forderungen der Politik nach ›Schnell- oder Standgerichten‹ höre, kann ich mit Blick auf unsere Geschichte schon wegen der Begrifflichkeit nur den Kopf schütteln.« Unabhängig davon sei in der Strafprozessordnung das »beschleunigte Verfahren« geregelt. Und: Niemand glaube ernsthaft, dass solcherlei Gerichte nach der EM wieder abgeschafft würden. Beschuldigten- und Verteidigerrechte fortgesetzt einzuschränken »ist eines Rechtsstaates unwürdig«, beklagte Lau. Mahnungen, die die illustre Minister- und Senatorenrunde beim Beschlüssefassen geflissentlich zu überhören scheint.

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