30.03.2024 / Wochenendbeilage / Seite 3 (Beilage)

Schleimspur am Morgen

Arnold Schölzel

Am Donnerstag kündigt Moderator Tom Böttcher laut Internetseite der Welle Radio eins der ARD-Landesanstalt Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) innerhalb der Sendung »Der schöne Morgen« gegen 8.10 Uhr einen Kommentar des Politikwissenschaftlers und Redakteurs bei der Monatszeitschrift Blätter für deutsche und internationale Politik Albrecht von Lucke an. Lucke soll folgende Frage beantworten: »Ist die Friedensbewegung aus der Zeit gefallen?« Synonyme für »aus der Zeit gefallen« sind »am falschen Ort«, »deplaziert«, »inadäquat«, »unpassend«, »hinter dem Mond leben«, »überholt«, »altbacken«, »anachronistisch«, »antiquiert« usw. Die Radio eins-Leute halten es offenbar für möglich, dass die Friedensbewegung von gestern, vorgestern oder vielleicht aus prähistorischen Zeiten ist.

Aus Böttchers Worten geht hervor, dass die Frage rhetorisch gemeint ist und Lucke sich seinen Text sparen kann. Der Moderator nennt die seit mehr als 60 Jahren stattfindenden Demonstrationen zu Ostern zunächst »sogenannte Ostermärsche«, und teilt mit: »Aber seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine wird die bedingungslose Forderung nach ›Frieden schaffen ohne Waffen‹ von vielen Seiten auch kritisiert.« Das »bedingungslos« ist Desinformation, die »vielen Seiten«, die das kritisieren, sind bei Böttcher exakt eine: »Besonders Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen, einer traditionellen Friedenspartei, sagte vergangenes Jahr: ›Wenn sie sagen, Putin, du bist ein Aggressor, stell’ den Krieg ein, zieh’ die Truppen zurück und stell’ das Morden und Töten ein‹, dann haben die Ostermärsche ihren Sinn.« Schöner Morgen beim RBB für Bündnis 90/Die Grünen: Pünktlich zum 25. Jahrestag des ersten völkerrechtswidrigen Angriffskrieges, an dem die Partei mitgewirkt hat, dem gegen Jugoslawien 1999, als »traditionelle Friedenspartei« betitelt zu werden – da rutscht einer auf der eigenen Schleimspur aus. Und sagt als richtiger deutscher Kriegsjournalist den sogenannten Ostermarschierern halbamtlich, wer wirklich für Frieden eintritt. Sie jedenfalls nicht, sondern Habeck. Der traf sich zufällig am Mittwoch mit Vertretern von 20 Rüstungsunternehmen »vom U-Bootbauer bis zum Startup« (Handelsblatt). Habeck redet dabei nicht grob-SPD-mäßig von »kriegstüchtig« wie Kollege Pistorius, sondern laut Handelsblatt subtil: »Das politische Gebot der Stunde ist, sicherheitsfähig zu werden.« Dazu will der traditionelle Friedenspolitiker die deutsche Rüstungsindustrie stärken, wie die Wirtschaftszeitung berichtet: »Es gehe darum, die sicherheitspolitische Lage auch industriepolitisch zu flankieren, betonte Habeck, der das Treffen als ›Auftakt‹ für weitere geplante Gesprächsrunden bezeichnete.« Frieden schaffen? Ist zwar von Habeck und seiner Partei nicht vorgesehen, vielmehr zunächst mehr Krieg, aber einer wie Böttcher verklickert sozusagen nebenbei: Das ist neue, frische, nicht altbackene Friedenspolitik. Vom fertigen Waffenstillstandsabkommen zwischen der Ukraine und Russland im Frühjahr 2022, das die NATO nicht wollte, redet so einer erst gar nicht. Propaganda gibt’s nur bei Putin.

Der Kommentar von Luckes? Große Überraschung: Er schließt sich Habeck an und übertrifft als Kopflanger dessen »sicherheitsfähig Werden« um Längen: Deutschland ist nach ihm »alles andere als bellizistisch«. Offenbar ist für Lucke egal, an wie vielen Angriffskriegen es seit 25 Jahren beteiligt ist. Woraus sich für ihn ergibt: »Wichtig« kann die Friedensbewegung nur sein, »wenn sie sagt ›Die Waffen nieder‹, ja, aber die russischen.« Weil sie das nicht tut, sorgt Habeck fürs Hoch bei deutschen Waffen und Radio eins gibt den aus der Zeit gefallenen Ostermarschierern den Bescheid dazu.

Schöner Morgen beim RBB für Bündnis 90/Die Grünen: Pünktlich zum 25. Jahrestag des ersten völkerrechtswidrigen Angriffskrieges, an dem die Partei mitgewirkt hat, dem gegen Jugoslawien 1999, als »traditionelle Friedenspartei« betitelt zu werden – da rutscht einer auf der eigenen Schleimspur aus.

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