21.03.2024 / Feuilleton / Seite 10

Mit Turnschuhcharme

Beim Hamburg Ballett stehen die Pläne für die Zeit nach dem Führungswechsel fest

Gisela Sonnenburg

Der Nochintendant vom Hamburg Ballett John Neumeier (85) trägt stets interessantes Schuhwerk: Leisetreter aus smartem Leder bei Terminen im Opernhaus und leichte Jazzschläppchen bei den Proben. Jetzt folgt ihm der Vertreter einer jüngeren Generation: Demis Volpi (38) trägt Turnschuhe. Blitzweiße Sneakers, um genau zu sein, und sie sollen zu dunklen Hosen stark kontrastieren. Den modischen Kniff hat Volpi sich bei Tamas Detrich, dem Stuttgarter Ballettintendanten abgeguckt. Der trägt öffentlich bevorzugt Sneakers vom Autobauer Porsche, der Sponsor des Stuttgarter Balletts ist.

Dort wurde Volpi als Choreograph groß gemacht. An der Alster präsentiert er zunächst die gewohnte gute Tanzkost: Neun Stücke von John Neumeier stehen auf dem Spielplan. Mit dabei: das sakrale Mammutwerk »Matthäus-Passion«, das Megaballett »Nijinsky«, die »Odyssee« und natürlich die mit Spannung erwartete letzte Hamburger Neumeier-Kreation »Epilog«.

Volpi knüpft an eine 51jährige Ära Neumeier in Hamburg an. Darum nennt er seine erste Spielzeit dort »Prolog« (Vorspiel): als Antwort auf das getanzte Nachwort (»Epilog«) von Neumeier. Selber wird Volpi erst im Juli 2025 so richtig zeigen, was er als Choreograph vermag. Dann wird er das abendfüllende Stück ­»Demian« uraufführen lassen, nach dem Roman von Hermann Hesse.

Zum Spielzeitbeginn am 28. September kommt ein Vierteiler auf die Bühne: »The Times Are Racing« ist nach einem »Turnschuhballett« des US-Amerikaners Justin Peck benannt. Weitere Anteile des Programms: »Adagio«, eine frühe Arbeit der Tanztheaterikone Pina Bausch zu Liedern von Gustav Mahler, ferner ein Doppelpaartanz vom über 90jährigen holländischen Meister Hans van Manen und ein kurzes Stück von Demis Volpi zum Thema Vergänglichkeit, »The Thing With Feathers«.

Die zweite Premiere, im Dezember, gehört zur Hälfte einer Frau: Aszure Barton ist die Tochter eines Musicalproduzenten und bekannt für hintergründig-sarkastische Einfälle. Mit »Slow Burn« kann sie hoffentlich brillieren, während danach der US-Altmeister William Forsythe eine seiner fünf Shows nach Songs von James Blake zeigt. Blake hat Fans, aber man kann seine am Synthi produzierten Soulsongs auch banal finden.

Bei den Neumeier-Werken ist sich die Mehrheit der Ballettomanen einig: Sie sind grandios, geschmackvoll, durchdacht, haben Tiefgang und stehen moralpolitisch auf der richtigen Seite. Neumeier propagiert die Liebe als vorherrschendes Prinzip, auch die Nächstenliebe, und den Krieg kritisiert er, ohne ihn zu verschweigen. Das tat er schon als junger Mann, als er 1973 in Hamburg begann. Mittlerweile hat er in der Ballettwelt einen fast gottähnlichen Status, aber das Wasser kann ihm tatsächlich niemand reichen.

Dass Volpi das Gendern einführt, wird ihm allerdings Feindschaften eintragen. »Ballettester*innen« heißt eine Publikumsaktion. Nur sind Sprechpausen und Satzzeichen mitten im Wort bei Intelligenzlern eigentlich schon wieder out.

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