20.03.2024 / Ansichten / Seite 8

Unwürdige des Tages: Russen in Estland

Reinhard Lauterbach

Die in Estland lebenden Russen haben bei der Wahl am Sonntag zu 75 Prozent für Wladimir Putin gestimmt. Das ist, verglichen mit dem offiziellen Gesamtergebnis von 87 Prozent, unterdurchschnittlich. So könnte man die Zahlen interpretieren und den Gedanken fortführen in die Richtung, dass, wenn in einem Land, dessen Öffentlichkeit reichlich »alternative Sichtweisen« auf Putin und sein System anbietet, 75 Prozent sich davon nicht haben beeindrucken lassen, dann das innerrussische Ergebnis vielleicht auch ohne allzu großen Fälschungsaufwand zustande gekommen sein könnte.

Aber nein, so soll man nicht denken. Die estnische Zeitung Postimees überlegte angesichts dieser Zahlen statt dessen, ob man die in Estland lebenden Russen unter diesen Bedingungen noch an den Kommunalwahlen teilnehmen lassen dürfe: »Diese Bürger können an den Kommunalwahlen teilnehmen und so die estnische Politik beeinflussen. Putinisten sind eine Sicherheitsbedrohung in Estland, egal aus welchem Blickwinkel man es betrachtet.« (So zitiert in der Presseschau der Bundeszentrale für politische Bildung vom Dienstag.)

Überhaupt sind die Russen undankbar, auch die oppositionell eingestellten. Da haben sie sich vor dem Krieg ins Ausland aus dem Staub gemacht, statt dem Vorbild Alexej Nawalnys zu folgen, und stehen damit, wie die FAZ am Montag beklagte, nicht mehr als Personal für die innerrussische Opposition zur Verfügung. Die Konsequenz aus Frankfurt am Main: erst recht »massiv« die Ukraine unterstützen. Wenn Putin nicht aus dem Inland gestürzt werden könne, dann eben von außen. Und dann wundert sich die Kommentatorenschaft, dass Putin dieses Milieu zu ausländischen Agenten und zur fünften Kolonne des Wesens erklärt.

Wahlen sind nämlich nur echt, wenn der Richtige gewinnt. Wenn nicht, waren sie keine.

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