19.03.2024 / Ansichten / Seite 8

Abgeschossener des Tages: Jurij Ignat

Arnold Schölzel

Das große Aufräumen in der Armeeführung Kiews geht weiter. Am 8. Februar warf Präsident Wolodimir Selenskij seinen obersten Militär Walerij Saluschnij raus, nun erreicht die Säuberung die zweite Reihe. Am Sonnabend traf es den Pressesprecher der ukrainischen Luftwaffe, Oberst Jurij Ignat, der in der Ukraine und in Russland eine gewisse Popularität genießt. Er war vor allem für Siegesmeldungen der Luftverteidigung zuständig und berichtete fortlaufend über komplette Vernichtung russischer Drohnen, Kampfflugzeuge, Marschflugkörper und Raketen. Laut dem russischen Internetportal »Wojennoje Obosrenije« (Militärumschau, topwar.ru) erhöhte sich sein Bekanntheitsgrad sprunghaft, als im Internet ein Video auftauchte, in dem er ohne Dokumente zur Hand Daten über die Zahl abgeschossener Drohnen und Raketen in einen Computer eingab. Sein Ehrenname im Netz lautete seitdem »virtueller Patriot«.

Der Verdacht breitete sich aus, dass die aus Kiew in die Welt geschickten Daten über zertrümmerte russische Flugobjekte der Phantasie des Oberst Ignat entsprangen. Vermutlich war er die sichere Quelle des britischen Verteidigungsministeriums, das seit zwei Jahren fast täglich über Fehlschläge Russlands und den bevorstehenden Zusammenbruch von dessen Streitkräften berichtet – in letzter Zeit allerdings etwas spärlich. Ignat bewährte sich aber auch auf dem zweiten Feld ukrainischer Datenkriegführung: die völlige Wehrlosigkeit der eigenen Armee beklagen und entsprechende Aufstockung westlicher Waffenlieferungen verlangen. So teilte Ignat im August 2023 mit, die Luftabwehr Kiews sei hilflos gegen russische Hyperschallwaffen – nur Patriot-Systeme könnten helfen. Wenig später kündigte der deutsche Bundeskanzler an: Ihr bekommt eins mehr. Nur den TAURUS konnte selbst Ignat nicht erpressen – das reicht heute für eine Entlassung in Kiew.

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