18.03.2024 / Ausland / Seite 7

Petro braucht neue Konstitution

Kolumbiens Präsident will verfassunggebende Versammlung. Opposition blockiere soziale Reformen

Volker Hermsdorf

Kolumbiens Präsident Gustavo Petro hat die Einberufung eine verfassungsgebenden Versammlung vorgeschlagen und damit ein politisches Erdbeben ausgelöst. Mit seiner Initiative reagierte der linke Staatschef auf die Blockade von Sozialreformen durch das Parlament. »Wenn die Institutionen in Kolumbien nicht in der Lage sind, den sozialen Reformen gerecht zu werden, die das Volk durch sein Votum beschlossen hat, dann sind Veränderungen notwendig«, sagte Petro am Freitag (Ortszeit) auf einer Veranstaltung mit Vertretern indigener Gemeinschaften in der Stadt Cali.

Die Millionenstadt im Südwesten des Landes gilt als Zentrum der sozialen Aufstände, bei denen 2021 Hunderttausende, vor allem junge Menschen monatelang gegen soziale Ungleichheit und staatliche Gewalt rebellierten. In Folge der landesweiten Proteste war das ehemalige Mitglied der Stadtguerillabewegung M-19, Gustavo Petro, im Juni 2022 mit dem Versprechen tiefgreifender sozialer Veränderungen gewählt worden. Wie Telesur berichtete, prangerte Petro in Cali jetzt an, dass »einige staatliche Stellen« seine Regierung daran hindern würden, »notwendige Änderungen einzuleiten«. Nach einer Rentenreform, mit der rund zweieinhalb Millionen verarmten älteren Menschen ein Mindesteinkommen garantiert werden sollte, droht auch eine von Petro angekündigte Gesundheitsreform am Widerstand der Opposition im Senat zu scheitern. Das Vorhaben gilt als eines der wichtigsten Vorzeigeprojekte des Präsidenten. In seiner Rede wies Petro darauf hin, dass das derzeitige Gesundheitssystem in Kolumbien den Tod von mehr Bürgern verursacht habe als der bewaffnete Konflikt mit der Guerilla. 340.000 Landsleute seien nur deswegen gestorben, weil sie nicht in einem Krankenhaus behandelt wurden. Dennoch komme die notwendige Reform in dem aus 102 Senatoren und 166 Abgeordneten des Repräsentantenhauses bestehenden Kongress nicht voran. »Ich war naiv, als ich ein nationales Abkommen vorschlug und an die politischen Kräfte appellierte, die 2022 verloren haben«, sagte Petro. »Zeigen wir Kolumbien, wie die Macht des Volkes aussieht«, forderte er kämpferisch. Es sei gut, dass sein Vorschlag der verfassungsgebenden Versammlung eine nationale Debatte auslöse, fügte er hinzu.

»Dies ist die mit Abstand radikalste Rede, die der Präsident bisher gehalten hat«, kommentierte die rechtskonservative Tageszeitung El Colombiano den Anstoß zu dieser Debatte, in der außer der extremen Rechten auch einige ehemalige Gefolgsleute auf Distanz zu Petro gehen. Die Zeitung verwies darauf, dass die »Magna Carta« gemäß der derzeitigen Verfassung aus dem Jahr 1991 nur durch den Kongress, durch eine verfassungsgebende Versammlung oder durch ein Referendum verändert werden kann. Um eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, müssen sowohl der Senat als auch die Abgeordnetenkammer ein Gesetz für eine Abstimmung verabschieden, in der die Bürger über die Einrichtung einer solchen Versammlung entscheiden können. Die Chancen für Petros Vorhaben scheinen gering zu sein.

»Er hat nicht die Mehrheiten, um ein einfaches Gesetz zu verabschieden, geschweige denn, um eine verfassungsgebende Versammlung einzuberufen. Er weiß das, aber er sagt es, um Chaos, Spaltung und Polarisierung zu säen, mit denen er während seiner verbleibenden Amtszeit operieren wird«, zitierte die spanische Agentur Efe Claudia López von der mitregierenden Partei »Alianza Verde« (Grüne Allianz). Wie López geht mittlerweile ein Teil der Grünen auf Distanz zu Petro. Einige Mitglieder der »Alianza Verde« haben sich auch gegen die Reform des Gesundheitssystems ausgesprochen. Dagegen erklärte León Valencia, der Direktor der kolumbianischen Stiftung für Frieden und Versöhnung (Pares), gegenüber Efe, er verstehe Petros Frustration, »weil die sozialen Reformen, so notwendig und dringend sie sind, nicht vorankommen und der Widerstand der traditionellen Eliten enorm ist«. Der Exguerillero fürchtet jedoch, dass »die politische Atmosphäre derzeit nicht geeignet ist«, um einen verfassungsgebenden Prozess einzuleiten. Am besten wäre es, »die Befugnisse des Präsidenten zu nutzen, um die Veränderungen durch Dekrete und Direktiven zu ermöglichen«, rät Valencia.

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