06.03.2024 / Ansichten / Seite 8

Pharmadarling des Tages: Aspirin

Maximilian Schäffer

Guten Morgen – das harte Leben klopft unchristlich um acht Uhr Sommerzeit. Der Rotwein war teuer, aber er nährte nicht. Die Dusche war kalt, aber sie wärmte nicht. Das Bett war geteilt, aber es lärmte nicht. An solchen Tagen hilft kein Beten mehr, nur pure Alchemie. Wichtigster Segen des funktionalen Trinkers ist die Schmerztablette. Klassisch bewährte sich Acetylsalicylsäure zum Vertreib des schuldigen Hämmerns im Hirn.

Deutschlands Pharmadarling Bayer meldete nun, dass die Anfrage nach ungeilen Schmerzmitteln in den letzten Jahren stark zurückging. Zum 125. Jubiläum der Eintragung des Markennamens haben die Europäer ihr Aspirin vergessen. Der Ami macht’s vor: Oxycodon ist ein supersexy Zeug, heilt nicht nur Schädelweh und Hinkebein, sondern auch gleich Hunger und Armut. Erfunden ward’s übrigens in Darmstadt von Merck.

Nur zu Coronazeiten, genauer zu Postcoronazeiten, als nach zwei Jahren Isolationshaft alle weit offenen Immunsystemschranken jeden erdenklichen Käfer herzlich willkommen hießen, stieg die Anfrage nach Aspirin kurzzeitig an. 2022 war das – jetzt lagert das Werksgold wieder im Werkskeller, während die Werkself die Tabelle anführt. Im Gegensatz zu Ibuprofen, dem moderneren Präparat, hilft ASS (so sein Generikaname) übrigens auch bei leichtem Bluthochdruck. Fans von 04 halten es traditionsgemäß gegen Ende der Saison, vor allem am letzten Spieltag bereit.

Der Alkoholkonsum in Deutschland geht seit den letzten Jahren kontinuierlich zurück. Achtsamkeit und Fitnesswelle sind Gründe. Viele funktionale Trinker fanden heraus, dass die Sünde im Kopf einen nicht unwesentlichen Anteil am psychosomatischen Schmerzempfinden hat. Ebenso entspannend wie Aspirin wirkt oft ein Tropfen Ylang-Ylang-Öl auf die Schläfe. Oder eben der gute Glaube an die Freiheit der antikapitalistischen Selbstzerstörung.

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