29.02.2024 / Inland / Seite 5

Tödliches Tesla-Design

Gerichtsprozess in Potsdam: Zwei Teenager in Auto verbrannt, weil sich die Türen nicht öffnen ließen

Alexander Reich

Im August 2022 rennen Ersthelfer auf einen nagelneuen Tesla zu, der an der Landstraße 73 in Brandenburg gegen einen Baum gekracht ist. Sie versuchen, zwei Teenager zu retten, die bewusstlos auf der Rückbank des Modells S liegen, aber die Griffe sind in den Türen versenkt, die sich deshalb nicht öffnen lassen. Und weil der Wagen mit der Lithiumbatterie wie Zunder brennt, treten die beiden Bundeswehrsoldaten zurück. Laura F. und Noel verbrennen im Alter von 18 Jahren in dem Wagen.

Seit Dienstag steht der heute 20jährige Fahrer des Teslas, Jan W., in Potsdam vor Gericht. Es geht um fahrlässige Tötung und Körperverletzung. Wichtiger ist die Frage, die in dem Amtsgerichtssaal nur nebenbei zur Sprache kommen wird: Macht das futuristische Tesla-Design, das Konzernchef Elon Musk persönlich gegen Sicherheitsbedenken seiner Ingenieure durchgesetzt hat, die Autos zur Todesfalle?

Bei mindestens vier Unfällen mit insgesamt fünf Todesopfern in Europa und den USA haben die versenkten Türgriffe bisher eine Rolle gespielt. Wird ein Airbag ausgelöst, sollen sie automatisch ausgefahren werden, doch »je nach Art des Unfalls« ist das nicht immer der Fall, wie Tesla einräumt. Es bleibe die mechanische Entriegelung. Beim Modell S muss dafür der Teppich unter den Rücksitzen umgeklappt und ein Entriegelungszug betätigt werden. Das muss man wissen, und oft ist dafür keine Zeit.

Beim Unfall an der L 73 in der Nähe des Ortes Dobbrikow spielte das »Ausbleiben des automatischen Ausfahrens der hinteren Türgriffe« eine »maßgebliche« Rolle, heißt es in einem von der Potsdamer Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenen Gutachten des Prüfkonzerns Dekra, aus dem das Handelsblatt am Mittwoch zitierte. Ohne das »Versagen dieser Sicherungsfunktion« hätten Laura F. und Noel wohl noch rechtzeitig, also vor der Explosion des Akkus, geborgen werden können.

Es war nicht der erste Unfall dieser Art in Deutschland. Im April 2021 prallte ein Tesla Model X bei Greifswald gegen einen Baum. Zufällig war ein Feuerwehrmann vor Ort, der allerdings weder die Türen öffnen noch den Brand löschen konnte, obwohl er sogar einen Feuerlöscher dabeihatte. Beim Model X muss für die mechanische Entriegelung laut Handbuch ein Lautsprechergitter an der Hintertür entfernt werden.

In Potsdam geht es nun erst einmal um Jan W., der am 16. August 2022 mit dem Modell S protzte, das seine Eltern ihm gerade gekauft hatten, zum Listenpreis ab 100.000 Euro. Er habe »jahrelange Erfahrung« mit diesem Wagen, sagte der Angeklagte am Dienstag vor Gericht, habe das Modell in seinem »Auslandsjahr in den USA gefahren«. Zwei Insassen, die den Crash überlebt haben, belasteten ihn schwer. Jan habe gesagt, »dass er keinen Unfall baut, er kenne die Strecke«, erklärte Tim (19), und sprach über die Beschleunigung von null auf 100 in drei Sekunden: »Das drückt einen in den Sitz.« Laura S. (18), die sich vom Beifahrersitz aus dem brennenden Wagen hatte retten können, bestätigte: »Jan beschleunigte so stark, dass mir schlecht wurde, etwas über Tempo 100. Dann kam die Linkskurve.«

Bei den Mitfahrern hat sich der 20jährige aus Beelitz nach dem Unfall nicht gemeldet. Seinen Führerschein hat er bis heute, und fährt auch nach wie vor Auto. Ihm droht eine Gefängnisstrafe. Das Urteil wird für den 7. März erwartet. Noch wichtiger wären juristische Schritte gegen Tesla. Die Eltern von Laura F. und Noel ziehen eine Klage in Erwägung, sagen sie. Aber Elon Musk geht aus Prinzip über Leichen und wird sein bescheuertes Design mit einem Heer von Anwälten verteidigen.

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