26.04.2011 / Schwerpunkt / Seite 3
Es gibt keinen chirurgisch sauberen Krieg
Martin Hantke, Mitglied des Beirats der Informationsstelle
Militarisierung e. V. (IMI) in Tübingen, sprach am Sonnabend
zur Eröffnung des Ostermarsches Rhein/Ruhr in Duisburg. Wir
dokumentieren seine Rede in Auszügen:
(…) Seit nunmehr fast einem Monat führt die NATO jetzt
schon Krieg in Libyen. Es ist nach Jugoslawien und Afghanistan der
dritte größere Einsatz binnen eines Jahrzehnts. Und die
Meldungen ähneln sich, auch jetzt bei Libyen. Von den zivilen
Bombenopfern der NATO bekommen wir über unsere Medien fast
nichts zu sehen. Das ist in Libyen nicht anders als bei den
Hunderten zivilen Toten, die jedes Jahr auf das Konto der
Bombardierungen der NATO in Afghanistan gehen. Auch im
Jugoslawien-Krieg gab es nahezu keine Bilder bei uns – dabei
gab es damals allein 2000 Tote! Doch wir sehen davon nichts. Und
das hat natürlich System. Wir sollen nichts über das Leid
und den Schrecken erfahren, die heute in unserem Namen an den
südlichen Rand des Mittelmeeres gebracht werden. Es geht
darum, die Fiktion der humanitären Intervention
aufrechterhalten zu können. Denn auf diese modernisierte
Version des gerechten Krieges berufen sich die
Interventionsmächte – wieder einmal. Dafür wird
wieder einmal die gesamte Propagandamaschine der Kriegslügen
eingesetzt. Denn nichts ist im Krieg kostbarer als die
Unterstützung durch die eigene Bevölkerung. Bilder von
Toten, von Verstümmelten, von Brandopfern und Ausgebombten
stören dabei nur. Deshalb zeigt man sie besser nicht. Doch wo
Bomben fallen, gibt es nun einmal Leid und Zerstörung! Es gibt
keinen chirurgisch sauberen Krieg. Egal, was uns die
Propagandameister der NATO erzählen!
Lassen wir uns von ihren Kriegslügen nicht einfangen! Glauben
wir ihnen weder, wenn sie davon sprechen, daß die Mittel
– also die Waffen! – so eingesetzt werden, daß
sie die Zivilbevölkerung nicht treffen. Glauben wir ihnen erst
recht nicht, wenn sie von den angeblichen humanitären Zielen
reden, die sie mit dem Krieg verfolgen. War es ihre humanitäre
Motivation, als sie Frontex ausbauten und Libyen zum Frontstaat der
Flüchtlingsabwehr auserkoren? Wo ist die Humanität, wenn
man sich nach wie vor weigert, Flüchtlinge aus Nordafrika
aufzunehmen, wenn man diejenigen, die in Seelenverkäufern
über das Mittelmeer fahren, schlicht absaufen läßt?
Und warum entdeckt man die humanitären Ziele vor allem in
Ländern, die Erdöl besitzen? (...)
In einem PR-Papier für die Bundestagswahlen 2009, das von
Atomkonzernen wie E.on in Auftrag gegeben wurde, betonten die
Lobbyberater, wie wichtig die Argumente Versorgungssicherheit und
Klimaschutz für die Durchsetzung der Proatomstrategie seien.
»Mit diesen beiden Themen kann E.on die emotionalen
Bedürfnisse in der Bevölkerung befriedigen«, so das
Papier. Man ging sogar so weit, die Angst vor Rußland zu
schüren, um die Bevölkerung auf eine
Laufzeitverlängerung der AKWs einzustimmen. Denn die
Importabhängigkeit von Erdgas bot sich für die Atomlobby
bestens an, um »die Ängste vor einer russischen Dominanz
zu nutzen«. Mit anderen Worten: Weil russisches Erdgas eine
unsichere Sache sei, stehe die Atomkraft umso besser da, so
faßte es der Spiegel zusammen. Auch im Papier wurde
unverblümt Klartext geredet, ich zitiere: »Dieses
geostrategische Thema weckt historisch tradierte Ängste vor
Rußland. Diese Ängste kann E.on für sich
nutzen.« Und die Strategie ging auf. Schließlich wurden
die Laufzeiten verlängert. Daß jetzt Fukushima
dazwischenkam, ist ein großes Problem für die
Atomkonzerne, die bestens mit der Bundesregierung kooperiert haben.
Daß Konzerne mit ihren Profitinteressen die Politik der
Bundesregierung so massiv prägen, war schon vor Fukushima
unerträglich. Jetzt muß es endgültig ein Ende
haben! (...)
Dabei ist Deutschland schon heute beim Libyen-Krieg dabei. Wie beim
Irak-Krieg wird die Infrastruktur zur Verfügung gestellt,
damit die NATO ihren Krieg in Libyen führen kann. Die
Bundeswehr hat ihre Kapazitäten beim Krieg in Afghanistan
erhöht, um die »Verbündeten« zu entlasten.
Und am bemerkenswertesten ist, daß die deutsche
Rüstungsindustrie bereits mit dem Krieg in Libyen beste
Geschäfte macht. So feierte der Geschäftsführer des
Rüstungskonsortiums EADS, Endres, erst jetzt am
Donnerstag in den Tagesthemen den Libyen-Krieg als werbewirksam
für die eigenen Produkte regelrecht ab. Und auf den
Werbeseiten für den Eurofighter wird mit Bombardierungsvideos
aus dem Libyen-Krieg geworben. Der Libyen-Krieg ist im wahrsten
Sinne des Wortes ein Bombengeschäft für die
Rüstungsindustrie und soll auch ein weiterer Mosaikstein sein,
was die zukünftige Verwendung der Bundeswehr betrifft. (...)
https://www.jungewelt.de/artikel/162922.es-gibt-keinen-chirurgisch-sauberen-krieg.html