27.11.2010 / Aktion / Seite 16
Soldaten sind Psychopathen
Jeder hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern. Wenn er viel Geld und einen guten Anwalt hat. Prozesse einer Woche
Dietmar Koschmieder
Siegfried Kauder ist seit einem Jahr Vorsitzender des
Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages. Ausgerechnet er
forderte diese Woche angesichts der Terrorgefahren, die
Pressefreiheit zu beschränken. Selbstverständlich
unterstützte Kauder auch die Staatsanwaltschaft bei ihren
Ermittlungen gegen 17 Journalisten. Diese wurden verdächtigt,
geheime Informationen (zu denen auch Zeitungsausschnitte
gehörten) des Kurnaz-Untersuchungsausschusses entgegengenommen
und daraus veröffentlicht zu haben. Gewerkschaften und
Medienvertreter sahen darin schon damals den Versuch, die
Pressefreiheit einzuschränken und Journalisten
einzuschüchtern.
Das geht auch über andere Wege, zum Beispiel über
Beleidigungsklagen. Hubertus Knabe, Leiter einer Gedenkstätte
in Berlin-Hohenschönhausen, wurde in dieser Zeitung in einem
Interview als »Psychopath aus Hohenschönhausen«
bezeichnet, »der die Stasi-Überprüfung nunmehr bis
auf den letzten Eskimo ausgedehnt wissen will«. Auf Antrag
der Staatsanwaltschaft wurde dem Chefredakteur der jungen
Welt vom Amtsgericht Tiergarten am 27.Januar ein Strafbefehl in
Höhe von 4800 Euro zugestellt. Arnold Schölzel hätte
die junge Welt nicht »von strafbaren Inhalten«
freigehalten und deshalb sei »mittels des Druckwerks eine
rechtswidrige Tat, nämlich eine Beleidigung« begangen
worden. Schölzel legte umgehend Einspruch gegen den
Strafbefehl ein und warf Staatsanwaltschaft, Gericht und Hubertus
Knabe den Versuch einer Einschränkung der Presse-,
Informations- und Meinungsfreiheit vor. In der Hauptverhandlung
folgte die Amtsrichterin seinen Überlegungen. Der Begriff
»Psychopath« sei nicht medizinisch gebraucht worden,
sei keine Schmähkritik, weil er im Rahmen einer inhaltlichen
Argumentation vorgetragen wurde, Schölzel hätte
berechtigte Interessen wahrgenommen, zudem müsse, wer wie Herr
Knabe austeilt, auch einstecken können. Schölzel wurde
freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft wollte das aber nicht auf
sich beruhen lassen und ging in die Berufung. Am Dienstag dieser
Woche bestätigte nun das Berliner Landgericht das
Amtsgerichtsurteil. Ausführlich begründete der Richter,
warum die Meinungsfreiheit ein so hohes Gut sei und warum es darauf
ankäme, daß die Äußerung im Rahmen einer
öffentlich geführten Diskussion fällt – und
eben nicht nur eine persönliche Diffamierung der
angesprochenen Person darstelle – mit einem Urteil des
Bundesverfassungsgerichts in Sachen Tucholsky-Zitat
(»Soldaten sind Mörder«): Es gehe um eine
Positionierung in einem inhaltlichen Streit und nicht um einen
juristischen oder medizinischen Tatbestand, hier wiege das Recht
der freien Meinungsäußerung besonders viel.
Nur einen Tag danach kommt aus dem Amtsgericht Tiergarten der
nächste Strafbefehl. Diesmal soll jW-Autor Thies Gleiss 5400
Euro zahlen. Er hätte in einem Artikel in der jungen
Welt die in Afghanistan stationierten Bundeswehrsoldaten
bewußt als »Mörder im rechtlichen Sinne«
bezeichnet und damit beleidigt. Gleiss hatte in der jW-Ausgabe vom
20.Mai 2010 auf der Schwerpunktseite die Koalitionsverhandlungen in
Nordrhein-Westfalen kommentiert. Die SPD verlangte von den
Linkspartei-Genossen, sie sollten erst mal ihr Verhältnis zur
DDR klären. Gleiss konterte dieses Ansinnen damit, daß
die von der SPD und den Grünen nach Afghanistan geschickten
Mördersoldaten schon deutlich mehr Menschen umgebracht
hätten, als es Tote an der Berliner Mauer gab. Weder bei den
Toten an der Mauer noch bei den Opfern in Afghanistan geht es dabei
um einen juristisch präzise formulierten Straftatbestand,
sondern um die landläufige Erkenntnis, daß auch
Bundeswehrsoldaten Menschen umbringen. In früheren Verfahren
argumentierten Staatsanwaltschaft, Bundeswehrführung und
Behörden gegen das Tucholsky-Zitat damit, daß die
Bundeswehr alleine den Auftrag der Abschreckung und unmittelbaren
Landesverteidigung zu verfolgen habe, niemals aber Krieg
außerhalb der Bundesrepublik führen werde.
Spätestens nach den Bundeswehr-Luftangriffen in Jugoslawien
und Massakern wie dem Bombenangriff auf einen Tanklastzug in
Afghanistan argumentieren Staatsanwaltschaft und Bundeswehr
allerdings anders. Immerhin ist dieser aktuelle Prozeß schon
jetzt von so großer Bedeutung, daß er bereits heute in
das Wikipedia-Lexikon unter dem Stichwort »Soldaten sind
Mörder/Entwicklung der öffentlichen Diskussion«
Eingang gefunden hat. Wir werden weiter berichten.
Auch das nächste Gerichtsschreiben, das am Freitag ins Haus
geflattert kam, beschreibt den realen Zustand in Sachen
Meinungsfreiheit. Die Firma Stadtkultur Berlin verlangt von der
jungen Welt bzw. dem Verlag 8.Mai GmbH eine
Unterlassungserklärung und Schadenersatz, wegen
»sogenannten Wildplakatierens«. Selbstverständlich
haben wir weder wild plakatiert, noch sowas veranlaßt.
Vielmehr haben wir hier in Berlin immer wieder ganz offiziell
Plakate über diverse Firmen kleben lassen, so etwa für
die Rosa-Luxemburg-Konferenz in den Aushängen der U- und
S-Bahn. Man braucht also viel Geld, um seine Meinung im
öffentlichen Raum kundzutun. Doch auch das reicht nicht, wenn
es die falsche ist. Uns wurde der bezahlte Aushang auch schon
verweigert, weil darauf eine Äußerung von Rosa Luxemburg
zitiert wurde, der zu politisch gewesen sei. Auch über diesen
Prozeß werden wir berichten. Und wir weisen bei der
Gelegenheit auf unseren Prozeßkostenfonds hin.
Prozeßkostenfonds:
Kontoinhaber: Verlag 8. Mai GmbH
Postbank, BLZ: 100 100 10,
Kontonummer: 69 56 82 100,
Stichwort: Prozeßkosten
https://www.jungewelt.de/artikel/155011.soldaten-sind-psychopathen.html