20.10.2010 / Schwerpunkt / Seite 3
Gewerkschaften warnen vor Provokateuren
Angesichts der gewaltsamen Ausschreitungen bei den Rentenprotesten
in Frankreich haben die Gewerkschaften die Demonstranten zur
»Friedfertigkeit« aufgerufen. Der Generalsekretär
der einflußreichen Gewerkschaft CFDT, François
Chérèque, sagte unmittelbar vor einer
Großkundgebung am Dienstag in Paris, die Demonstranten
sollten sich nicht durch »Provokationen« aufstacheln
lassen. Er verwies dabei auf Aktionen durch »Gruppen von
Provokateuren und die Polizei«. Nach Angaben des
Innenministeriums wurden seit einer Woche 1158
»Randalierer« in Polizeigewahrsam genommen, davon
allein 163 am Dienstag bis Mittag.
Premierminister François Fillon sprach von einer
Radikalisierung der Proteste. Vor Abgeordneten der Regierungspartei
UMP sagte er am Dienstag, daß der Bewegung »langsam die
Luft ausgeht«. Keinesfalls würden am Dienstag mehr als
eine Million Menschen demonstrieren. Gleichzeitig würden die
Proteste aber »radikaler«.
CGT-Gewerkschaftschef Bernard Thibault rief die Regierung
angesichts der andauernden Streiks und Massenproteste auf, sich an
den Verhandlungstisch zu setzen. Die sogenannte Rentenreform, ein
zentrales Projekt der konservativen Regierung von
Staatspräsident Nicolas Sarkozy, soll noch in dieser Woche im
Senat endgültig verabschiedet werden.
Die Tageszeitung Die Welt stellt sich derweil hinter den
französischen Präsidenten. In ihrer Dienstagausgabe wies
das Springer-Blatt auf die nationale und internationale Bedeutung
der Entscheidung zur Erhöhung des Renteneintrittsalters im
Nachbarland hin: »Frankreich hat mehr Kinder als Deutschland.
Dennoch muß sich das Land der Logik auch der Demographie und
der Ökonomie beugen. Die Sozialisten, die jetzt Zeter und
Mordio schreien, würden, wären sie am Ruder, auch nicht
viel anders handeln können – es sei denn, sie legten es
auf einen nationalen Alleingang und ein Scheitern der Währung
an. Die Führungsschwäche der Regierung hat den
Gewerkschaften Appetit gemacht auf einen Streik mit politischer
Absicht und Signalwirkung über das Land hinaus.«
(AFP/jW)
https://www.jungewelt.de/artikel/152872.gewerkschaften-warnen-vor-provokateuren.html