28.07.2010 / Schwerpunkt / Seite 3
Hintergrund: Residenzpflicht
Seit 1982 unterliegen Asylsuchende, deren Anträge noch
bearbeitet werden, einer Aufenthaltsbeschränkung nach dem
Asylverfahrensgesetz Paragraph 56 (»Die Aufenthaltsgestattung
ist räumlich auf den Bezirk der Ausländerbehörde
beschränkt, in dem die für die Aufnahme des
Ausländers zuständige Aufnahmeeinrichtung liegt.«)
– die sogenannte Residenzpflicht. Derzeit unterliegen ihr
über 120000 Menschen. Im Extremfall ist ein Flüchtling
bis zu zehn Jahre an sie gebunden. Eine Genehmigung für eine
kleine Reise zu erhalten, kostet häufig Gebühren. Die
Sondergesetze geben der Polizei immer wieder Anlaß,
ausländisch aussehende Menschen zu kontrollieren.
Die Ausländerbehörden entscheiden – oft von
Landkreis zu Landkreis unterschiedlich –, wohin ein
Asylsuchender reisen darf, wie oft er einen Freund besuchen darf,
wann er Verwandte sehen kann und ob er auf ein politisches Treffen
fahren darf. Die Residenzpflicht bedeutet damit Einschränkung
der Reisefreiheit, der Versammlungs- und Meinungsfreiheit und oft
auch der Religionsfreiheit. Bei mehrmaligen Verstößen
gegen die Residenzpflicht droht eine Gefängnisstrafe bis zu
einem Jahr, eine Geldstrafe bis zu 2500 Euro oder der
Ausweisungsbescheid. Rund 40 Prozent aller Flüchtlinge werden
pro Jahr mit Strafen wegen Verstößen gegen die
Residenzpflicht belegt. 2008 saßen mindestens 200
Flüchtlinge deswegen in Haft.
Die Residenzpflicht existiert in der EU nur innerhalb der
Bundesrepublik. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten
Nationen (UNHCR) kritisiert seit den 80er Jahren die
»einzigartigen Abschreckungsmaßnahmen gegen
Asylbewerber«. Die Flüchtlingsorganisationen The Voice
und die Brandenburger Flüchtlingsinitiative vergleichen die
Residenzpflicht mit den Paßgesetzen des südafrikanischen
Apartheidsystems: »Auch Deutschland hat seine
›Paßgesetze‹.« Derzeit klagen zwei
Mitglieder von Flüchtlingsselbsthilfeorganisationen vor dem
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen die
Residenzpflicht, die ihnen auferlegt wurde.
https://www.jungewelt.de/artikel/148274.hintergrund-residenzpflicht.html