03.03.2010 / Schwerpunkt / Seite 3
Humanistische Union: Das Urteil überzeugt nicht
Das (...) Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur
Vorratsdatenspeicherung hat zwar die deutsche Regelung für
nichtig erklärt, dennoch ist die Vorratsdatenspeicherung noch
nicht endgültig vom Tisch«, kommentiert die
Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, Prof. Dr. Rosemarie
Will, die Entscheidung.
Die EU-Richtlinie 2006/24/EG aus dem Jahre 2006 verlangt von ihren
Mitgliedsstaaten, alle Anbieter von Telekommunikationsdiensten zu
verpflichten, praktisch sämtliche Verbindungsdaten, die bei
der Benutzung von Telefondiensten (Festnetz, Mobilfunk, Fax, SMS,
MMS), E-Mail- und Internetdiensten anfallen, vorsorglich und
anlaßlos von jedermann zur Verfolgung von schweren Straftaten
zu speichern. »Das Verfassungsgericht hält eine solche
Speicherungspflicht in dem von der Richtlinie vorgesehenen Umfang
nicht von vornherein für schlechthin verfassungswidrig. An
dieser Stelle ist die Entscheidung aus bürgerrechtlicher
Sicht, trotz des beachtlichen Erfolgs, den die
Bürgerrechtsbewegungen gemeinsam im AK Vorratsdatenspeicherung
erzielt haben, auch kritisch zu beurteilen«, so Will
weiter.
Das Gericht kommt zu seiner Nichtigkeitserklärung, weil die
angegriffenen Vorschriften weder eine hinreichende Regelung zur
Datensicherheit noch eine hinreichende Begrenzung der
Verwendungszwecke für die Daten gewährleisten.
Die vom Urteil nun geforderte Gewährleistung von
Sicherheitsstandards für die Datensicherung und Datennutzung
setzen aber die Anerkennung der Verfassungsmäßigkeit der
anlaßlosen Speicherung auf Vorrat voraus. Das überzeugt
nicht und bleibt auch hinter den Anträgen der
Beschwerdeführer zurück. »Warum dem deutschen Staat
unter dem Grundgesetz diese Speicherung auf Vorrat erlaubt ist,
begründet das Urteil nicht überzeugend«, kritisiert
Will. »Die dazu zum Beispiel auch in der
Verfassungsbeschwerde der Humanistischen Union vorgetragenen
Argumente bleiben im Urteil unbearbeitet. Zwar stellt das Gericht
fest, daß die gesetzliche Anordnung zur Datenspeicherung ein
Grundrechtseingriff ist, verabsäumt aber im Folgenden ihn
überzeugend zu rechtfertigen. Nur weil es dies tut, kommt es
auch zu der irrigen Auffassung, daß es keine Vorlagepflicht
an den Europäischen Gerichtshof hat. Insoweit wird jetzt nach
Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages vor dem Europäischen
Gerichtshof zu prüfen sein, ob nicht doch bereits mit der
grundsätzlichen Anordnung der Speicherung der Verbindungsdaten
auf Vorrat ein Grundrechtseingriff vorliegt.«
Auch die im Urteil vorgenommene Einschränkung der
Zugriffsrechte des Staates auf diese Daten nur für die
Fälle schwerer Kriminalität und die Anhebung der
Schwellen für die Nutzung dieser Daten durch die Polizei zur
Gefahrenabwehr und der Geheimdienste geht erst einmal von der
grundsätzlichen Rechtmäßigkeit einer solchen
Speicherung aus. »Die vom Gericht erhobenen Forderungen nach
Datensicherung und Präzisierung der Datennutzung sind zwar
alles sinnvolle Maßnahmen zur Bekämpfung eines
ausgebrochenen Brandes, die Brandursache hingegen, die
Speicherungsanordnung, bleibt aber dadurch unbeseitigt«, so
Will.
Es bleibt auch nach dem Karlsruher Urteilsspruch festzustellen:
Verbindungsdaten in diesem Umfang von jedem Bürger zu
speichern muß aus bürgerrechtlicher Sicht verhindert
werden.
»Oft genug wurden die Karlsruher Urteilssprüche von der
Bürgerrechtsbewegung nach der Redeweise Roma locuta, causa
finita behandelt. Das darf diesmal nicht geschehen. Jedenfalls wird
die Humanistische Union im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
dafür eintreten«, erklärt Will.
https://www.jungewelt.de/artikel/140449.humanistische-union-das-urteil-überzeugt-nicht.html