In den meisten Literaturgeschichten ist sie in den
Fußnotenapparat verbannt – wo sie gemeinhin als
Heinrich Heines (1797–1856) letzte Muse, als bloßer
Anlaß für dessen Liebesgedichte an die
»Mouche« (Fliege) gewürdigt wird. Die
Schriftstellerin Elise Krinitz (1825–1896) alias Camille
Selden hatte ihn in seinem letzten Lebensjahr begleitet.
Seldens Leben und Werk hat Heidi Urbahn de Jauregui, bis zu ihrer
Emeritierung Professorin für deutsche Literatur an der
Universität Saint Etienne in Montpellier, in Form eines
umfangreichen biographischen Romans dargestellt (siehe jW-Thema vom
6.7.). Er ist dieses Jahr unter dem Titel
»Dichterliebe« im Verlag André Thiele
erschienen. Entstanden ist dabei nicht nur ein überaus
lesenswertes Porträt der Selden, die in der sächsischen
Provinz geboren wurde und schon früh mit ihren Stiefeltern
nach Paris übersiedelte, sondern zugleich ein Panorama der
Epoche mit all ihren revolutionären Brüchen. Heines Werk
innig verbunden, stieß sich Selden von überkommenen
Konventionen ab, verbarg ihre Identität hinter wechselnden
Pseudonymen, schlüpfte gar in männliche Kleidung. Dieses
Rollenspiel gleichsam spiegelnd, läßt Urbahn de Jauregui
die Lebensgeschichte der Selden von einem (gelehrten) Erzähler
darstellen – dessen »typisch« männliches
Bild der Schriftstellerin immer wieder von seiner Freundin im
Dialog in spitzem Ton hinterfragt und ironisiert wird.
Heute abend stellt Heidi Urbahn de Jauregui
»Dichterliebe« in der jW-Ladengalerie vor.(jW)
heute, 19 Uhr, jW-Ladengalerie, Torstr. 6,
Berlin-Mitte