30.05.2009 / Aktion / Seite 16
Grenzen der Meinungsfreiheit
Pressefreiheit kostet manchmal mehr als nur eine Abogebühr. Aber möglichst viele Abonnements helfen der jungen Welt, ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und Information zu verteidigen
Denis Gabriel
Nicht alle mögen die Tageszeitung junge Welt. Viele
ärgern sich über die dort täglich neu lesbaren
Frechheiten. Manche lassen es dabei bewenden, sie voller Haß
angeblich zu ignorieren. Andere nutzen jede denkbare
Möglichkeit, mit dem Rechtsanwalt zu drohen. So wurde vor
einer Woche in der Rubrik »Ansichten« die Personalie
mit »Denunziant des Tages: Carl-W. Holzapfel«
überschrieben. Dies reizte eben jenen Herrn von der
Vereinigung der Opfer des Stalinismus so sehr, daß er der
jungen Welt mit Rechtsschritten drohte. Übrigens nicht zum
ersten Mal, allerdings sind seine diesbezüglichen
Bemühungen vor Gericht bisher gescheitert. Die heute nicht
zufällig in CDU-Reihen kämpfende ehemalige
Bürgerrechtlerin und ehemalige Überwachungsstaatsgegnerin
Vera Lengsfeld verlangt eine Gegendarstellung und droht mit
Rechtsschritten. Ebenfalls auf der »Ansichten«-Seite
hatte der Chefredakteur dieser Zeitung ein paar Tage zuvor einige
absurde Aussagen dieser Dame zum Fall des KZ-Aufsehers Demjanjuk
dokumentiert und folgendermaßen zusammenfassend kommentiert:
»Wer Menschen in Gaskammern treibt, ist Opfer des
Stalinismus«. Frau Lengsfeld stört hier offenbar
lediglich, daß der Kommentar Schölzels als ihre eigene
Aussage interpretiert werden könnte – was aber der Text
einfach nicht hergibt. Und gestern sollte vor dem Landgericht
Hamburg ein Prozeß stattfinden, den der ehemalige
bundesdeutsche Kriegsminister Hans Apel eingerührt hatte. In
einem jW-Interview mit dem Frankfurter Pfarrer Hans Christoph
Stoodt hatte dieser Apel als »Teil des rechtsnationalen
Milieus« bezeichnet, zumindest empfand Apel dies so und
verlangte von Stoodt eine Unterlassungserklärung. Der Pfarrer
argumentierte ausführlich, warum er diese nicht abgeben werde,
worauf Apel beim Landgericht Hamburg klagte. Am Donnerstag –
nur einen Tag vor dem Prozeß – zog er aber seine Klage
wieder zurück. Selbst aus seiner Klagebegründung geht
eindeutig hervor, daß man ihn durchaus dem rechtsnationalen
Milieu zuordnen kann.
Leider sind nicht alle Fälle, mit denen es die junge Welt zu
tun hat, so einfach und damit so kostengünstig abzuwickeln wie
die obengenannten. So findet am kommenden Dienstag ein Prozeß
vor dem Hamburger Oberlandesgericht statt, den die junge Welt in
erster Instanz bereits verloren hat. Zum Thema Sachsensumpf hatte
jW-Autor Markus Bernhardt einen Beitrag geschrieben und den
Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses des sächsischen
Landtages, den Linksparteiabgeordneten Klaus Bartl, zum Thema
befragt. Dabei ging und geht es um das eigenartige journalistische
Gebaren des damaligen Landeskorrespondenten der FAZ, Reiner Burger.
Der wußte nämlich, daß die Vorwürfe gegen
Staatsanwälte, Richter und Landesregierung allesamt nur
heiße Luft und Medienrummel seien – und zwar Monate,
bevor der Untersuchungsausschuß auch nur eine Akte einsehen
oder auch nur einen Zeugen vernehmen konnte. In den von ihm
angegriffenen jW-Beiträgen schilderten Bernhardt und Bartl
auch ihre persönlichen Eindrücke, die sich ihnen aufgrund
des Verhaltens Burgers aufdrängten. Burger widersprach nicht
dem Vorwurf, daß er seinen Artikel persönlich dem
Staatsanwalt Christian Avenarius zuspielte. Aber er
interpretierte die subjektiven Eindrücke Bartls und Bernhardts
so, als ob sie die Tatsachenbehauptung enthielten, er würde
»im Auftrag redaktionsfremder Dritter« seine Artikel
schreiben und verschicken. Das Gericht stellte in erster Instanz
fest, daß sowas zwar nicht behauptet worden wäre,
daß aber beim unbefangenen Leser durchaus ein entsprechender
Eindruck erweckt worden sein könnte. Das war am 5.September
2008. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Untersuchungsausschuß
noch immer keine vollständige Akteneinsicht und konnte noch
immer nicht damit beginnen, Zeugen der Opposition zu vernehmen.
Beides mußte erst vor dem Landesverfassungsgericht eingeklagt
werden. Bis heute liegt ein Abschlußbericht nicht vor. Aber
gegen eine Vielzahl von Journalisten, Staatsbediensteten und Zeugen
wurden von der Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren wegen
Verleumdung und anderer Vorwürfe eingeleitet. Die
Staatsanwaltschaft ging dabei sogar so weit, daß sie gegen
Zeugen ermitteln ließ, die ihre Aussagen noch gar nicht
beendet hatten. Da kann die junge Welt direkt froh sein, daß
es bei ihrem Prozeß am kommenden Dienstag nur um die Berufung
in einer presserechtlichen Angelegenheit geht. Aber was heißt
hier »nur«: Allein dieser Vorgang hat den Verlag
bereits über 10000 Euro gekostet. Und viel Zeit.
Pressefreiheit ist eben manchmal teurer als die monatliche
Abogebühr. Die vielen und jahrelangen Versuche, die junge Welt
in ihrer Meinungs-, Informations- und Berichterstattungsfreiheit
dramatisch einzuschränken, können nur mit erheblichem
finanziellen Aufwand zurückgeschlagen werden. Nur wenn die
junge Welt über ausreichend Internet- und Printabonnements
verfügt, kann sie sich diesen Aufwand überhaupt leisten.
Auch deshalb braucht sie jedes Abo. Und ab und zu Spenden für
den Prozeßkostenfonds. Sonst stehen Verlag, Redaktion und
Genossenschaft das nicht durch.
https://www.jungewelt.de/artikel/125879.grenzen-der-meinungsfreiheit.html