Die ersten Jahrzehnte wurde die Bundeswehr als Institution
verkauft, die ausschließlich der Verteidigung der
Bundesrepublik gegen Angriffe von äußeren Gegnern zu
dienen hatte. Diese Vorgabe macht bekanntlich bis heute das
Grundgesetz. Da dieses auch über Bündnisse nicht
ausgehebelt werden darf, spricht man bis heute verklärend von
der NATO als einem Verteidigungsbündnis. Zwar sind all diese
Aussagen schon immer verlogen gewesen, aber immerhin wurden sie
weitgehend geglaubt. Seit dem Ende der Systemauseinandersetzung
haben Politik und Militär aber ein großes Problem: Wer
offen Angriffskriege führt, braucht ein ruhiges Hinterland.
Deshalb muß der Bevölkerung eine neue Doktrin verkauft
werden. Ein sozialdemokratischer Kriegsminister erklärt
deshalb: Deutschland muß künftig am Hindukusch
verteidigt werden. Weil aber die Bevölkerung nach wie vor
deutlich gegen eine Beteiligung an Angriffskriegen ist, tummelt
sich die Bundeswehr mit viel Aufwand auf Spiele-, Pädagogik-
und Buch- und sonstigen Messen. Um auch noch dem letzten Deppen
spielerisch klarzumachen, daß die Lage nun eine andere sei:
Hungerunruhen in Peru beeinflussen die deutschen
Sicherheitsinteressen, deutsches Militär muß deshalb
weltweit agieren.
Die Kräfte der »Inneren Sicherheit« haben ein
ähnliches Problem zu bewältigen. Bisher wurde immer
behauptet, Polizeikräfte hätten Bürgerrechte zu
sichern. Auf Demos seien sie beispielsweise vor allem dazu da, die
Demonstrationsfreiheit abzusichern. Mittlerweile gilt das nur noch
für Naziaufmärsche. Die Demonstranten selbst sind
Aggressions- und Trainingsobjekte von Polizei- und
Spezialkräften. Denn die »Innere Sicherheit«
muß heute gegen die Bürger schlechthin verteidigt
werden: Unruhen im Lande, egal aus welchen Gründen,
könnten das Herrschaftsmonopol der Mächtigen
gefährden. Die wissen nicht, wie sie die aktuelle Wirtschafts-
und Systemkrise in den Griff bekommen, ja sie wissen noch nicht
einmal, wie sich diese weiter entwickeln wird. Aber sie erkennen,
daß die Bürger ihnen und ihrem politischen Personal
immer weniger vertrauen. Wenn selbst eine von der
»Friedrich-Naumann-Stifung für die Freiheit« in
Auftrag gegebene Umfrage ergibt, daß der Wunsch nach
Sozialismus zunimmt, dann wissen die liberalen Herren trotz
anderslautender Aussagen sehr wohl, daß dies nicht nur ein
Bildungs- und Vermittlungsproblem ist. Vielmehr ist die neue
Sicherheitsdoktrin nach innen selbst das Problem. Denn sie
müssen der Bevölkerung das Gegenteil von dem
erzählen, was sie immer lauthals gepredigt haben: Bisher
stellten sie sich als Kämpfer für Freiheit und Demokratie
dar, jetzt aber sollen sie erklären, weshalb sie Freiheit und
Demokratie demontieren. Zunächst konnten sie dazu die Angst
vor Terrorismus schüren und nutzen, dann bot sich der Schwarze
Block für die Begründung der Aufrüstung im Innern
an. Mittlerweile muß aber jeder Bürger, der sich wirksam
wehrt, mit Behinderungen und Übergriffen durch die Polizei
rechnen. Egal wie alt er ist, wie er angezogen ist, wo er bei den
nächsten Wahlen sein Kreuz macht. Das muß nicht nur
gegenüber der Bevölkerung erklärt werden, sondern
auch einem großen Teil der dienstverpflichteten Beamten. Denn
auch die stellen sich immer mehr die Frage, was es noch mit
Demokratie und Freiheit zu tun hat, wenn sie schwachsinnige
Auflagen kontrollieren müssen, nach denen Spruchbänder
keinesfalls länger als drei Meter sein dürfen. Oder wenn
sie der aus Bonn angereisten Punkfrau die Schuhe abnehmen sollen,
weil diese als passive Bewaffnung betrachtet werden, die eine
polizeiliche Maßnahme verhindern könnten. Oder wenn
durchgesetzt werden muß, daß sich kein Demonstrant
einem Polizisten näher als 1,50 Meter nähern darf. Oder
wenn über ganze Stadtteile Ausgangssperren verhängt
werden und dafür zu sorgen ist, daß die Eingesperrten
auch die Fenster nicht öffnen dürfen – weil jeder
Einwohner der Feind sein könnte.
Daß die Beamten auf diese neue Doktrin praktisch vorbereitet
werden, konnte man am Rande der Antikrisendemonstration am
vergangenen Samstag in Berlin beobachten. Dort kamen Kampfhunde zum
direkten Einsatz. Gegen Schüler, die mit einem eigenen Block
für ihre Aktionen im Juni geworben haben. Sie liefen friedlich
über einen Gleiskörper der Straßenbahn, vorbei an
Polizeihundeführern, die mit ihren Tieren erhöht auf den
Passagiersteigen der Haltestelle standen. Die Beamten mußten
sich an die Kante des Betonsockels stellen, was dazu führte,
daß ihre Hunde, die sie nicht kurz hielten, die
vorbeiziehenden Schüler anfielen. Nur jene Hunde, die keinen
Maulkorb anhatten, wurden von ihren Hundeführern etwa 1,5
Meter zurück und an kurzer Leine gehalten. Die Beamten wissen,
daß ihr Hund jeden anfällt, der den Sicherheitsradius
von etwa 1,5 Meter betritt. Selbst die eigenen Kollegen. Die
Schüler hatten also keine Chance. Manche Passanten waren
geschockt, weil sie die Situation an Bilder erinnerte, auf denen
politische Gefangene im Dritten Reich abgeführt wurden.
Sichtbar war aber auch, daß die Hundeführer völlig
verunsichert waren. Die Zeiten, in denen sie als »Freund und
Helfer« verkauft wurden, sind wohl endgültig vorbei, was
die Beamten selber auch erst noch verinnerlichen müssen. Wie
einem jungen Soldaten, dem man langsam beibringt, natürliche
Tötungshemmungen zu überwinden, werden auch Polizeibeamte
darauf vorbereitet, gegebenenfalls mit voller Härte
zuzuschlagen.
Verschärft wird das Problem dadurch daß die
bürgerlichen Medien keine Notiz von solchen Veränderungen
nehmen. Daß sie Randalierer aus dem Schwarzen Block nicht
verteidigen – geschenkt. Daß sie aber nicht mehr
beschreiben, wo und wie bürgerliche Freiheiten erdrosselt
werden, hilft den Herrschenden, diesen Prozeß ungehindert
fortzusetzen. Ein Medium wie die Tageszeitung junge Welt ist noch
viel zu schwach, um eine breite und damit wirksame
Gegenöffentlichkeit herzustellen. Damit die junge Welt nicht
erst dann so stark ist, wenn ihr dann wegen dem Verfall
bürgerlicher Freiheiten ein Verbot droht, sollten Sie diese
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