Gegründet 1947 Freitag, 19. April 2024, Nr. 92
Die junge Welt wird von 2767 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 30.08.2014, Seite 3 / Schwerpunkt

Mobilmachung gegen Rußland

Die »Bundesstiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung«, deren Gründung auf eine BdV-Initiative zurückgeht und von Bundeskanzlerin Merkel durchgesetzt wurde, widmet sich schwerpunktmäßig der »Vertreibung der Deutschen« – aber nicht ausschließlich. In diesem Frühjahr hat sie die Krimtataren für sich entdeckt, die bekanntermaßen 1944 als Nazikollaborateure zwangsumgesiedelt wurden. »Nach unserem inneren Kompaß stehen wir immer auf der Seite der Opfer, auch schon potentieller Opfer ethnischer Vertreibungen«, verkündete Stiftungsdirektor Manfred Kittel am 29. April – die mentale Mobilmachung des Westens gegen Rußland lief längst auf Hochtouren – bei einer Veranstaltung seiner Organisation zum »Brennpunkt Krim«. Man müsse doch fragen, so wird Kittel zitiert, ob die »Annexion« der Krim durch Rußland nicht vielleicht »einen der denkbar größten Brüche mit einer europäischen Zivilisation des Nachkriegs« bedeute. Ein Zivilisationsbruch!? Kriegt man Putin vielleicht wirklich auf eine Stufe mit Hitler?

Kittel gab sich laut einem Bericht, den seine Stiftung im Internet veröffentlicht, redlich Mühe. Es werde ja immer wieder auf Parallelen zwischen der »Annexion« der Krim und der Annexion der »Sudetengebiete« durch die Nazis im Herbst 1938 verwiesen, erklärte er. Das sei aber nicht ganz richtig; es gebe »nicht nur Gemeinsamkeiten«. Man müsse auch in Rechnung stellen, daß die Lage der »Sudetendeutschen« viel schlimmer gewesen sei, »weil es dort damals eben keine Autonomie innerhalb der Tschechoslowakei gab«. Dagegen habe sich »die Krim innerhalb der Ukraine seit 1992 einer Autonomie erfreut«. Soll das heißen, die Annexion der »Sudetengebiete« sei besser begründet gewesen als der Übergang der Krim in russische Hoheit? Wie auch immer: Die Zeit hatte sich 1993 mit Kittels Erstlingswerk »Die Legende von der ›Zweiten Schuld‹« auseinandergesetzt, in dem der Historiker zu dem Ergebnis kam, es rieche nach »falscher Volkspädagogik«, wenn man die »breite Masse des Volkes« in puncto »Vergangenheitsbewältigung« in die Pflicht nehmen wolle. Das führe nur zu einer »Zerknirschungsmentalität«. Das Hamburger Wochenblatt kam zu dem Schluß, es handele sich bei Kittels Machwerk um »ein neues Produkt jungkonservativer Geschichtsrevision«.


(jk)

Mehr aus: Schwerpunkt