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21.09.2021 12:57 Uhr

Wo ist Rosa?

Countdown zur Rosa-Luxemburg-Konferenz (10)
Von Dr. Seltsam
Bei den Sozis ist Rosa Luxemburg nie Thema, bei den Kommunisten auch nicht immer – bei der jungen Welt aber seit 1996, als sie die erste Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin organisierte.Und bei Dr. Seltsam, der in Berlin Touren zu ihren Wirkungsstätten macht. (jW)



Am 7. November 1917 beginnt in Rußland die Revolution. Sie wird begrüßt von Karl Liebknecht (Brief 11.11.17), dem USPD-Vorstand (12.11.), der SPD-Zeitung Vorwärts, von den rechten SPD-Führern Friedrich Ebert und Friedrich Stampfer (15.11.), von Clara Zetkin (16.11.) und von Rosa in einem Brief aus dem Gefägnis (24.11.). Lediglich ihr Exfreund, der »Renegat Kautsky« kritisiert sofort die »Diktatur des Proletariats«. Es folgen Streiks bei Daimler in Berlin-Marienfelde (3.–8.12.), Verbrüderungen an der Ostfront, im April 1918 Meutereien auf den Panzerkreuzern »Westfalen« und »Posen«, 46 Matrosen werden erschossen.

Erst ein Jahr später, am 3. November 1918, beginnt endlich die Revolution in Deutschland. Matrosen der kaiserlichen Kriegsflotte in Wilhelmshaven und Kiel weigern sich, zur »letzten Schlacht« gegen England auszulaufen und abzusaufen. Um nicht erschossen zu werden, müssen sie ihre Offiziere entwaffnen und die Verwaltung der Garnisonstädte übernehmen. Mit ihrer Hilfe werden überall Arbeiter- und Soldatenräte gebildet. Die Fürsten treten ab. Es fehlt aber die Verhaftung der Reichsregierung und die Enteignung der Banken und Großbetriebe.

Ohne Kenntnis der Ereignisse beschließen die »Revolutionären Obleute« mit Karl Liebknecht die Revolution für Berlin, allerdings frühestens für den 11. November. So sehr täuschen sich auch glühende Revolutionäre über den Ausbruch der Massenenrevolte, sie verlieren eine entscheidende Woche, während sich der Konterrevolutionär Gustav Noske (SPD) schon zum Militärgouverneur von Kiel wählen läßt. Karl Liebknecht ruft am 9. November von einem Balkon des Berliner Stadtschlosses die »Sozialistische Räterepublik« aus.

Mit einer Handvoll linker Matrosen besetzt der Spartakist Hermann Duncker den reaktionären Scherl-Verlag. Mit den Worten »Meine Herren, die Zeiten haben sich geändert, Sie wissen was Sie nun zu schreiben haben!« zwingt er die rechten Redakteure, die erste Rote Fahne-Zeitung herauszubringen, die berühmte Nummer 1 vom 9. November mit der Schlagzeile »Berlin unter der roten Fahne« in altdeutscher Fraktur. Heute ist dieses Exemplar unbezahlbar.

Die Matrosen werden in ihre Heimatstädte entsandt und revolutionieren dort die Verhältnisse.

Von all dem bekommt Rosa Luxemburg gar nichts mit, denn sie ist am 9. November immer noch Gefangene. Erst am 10. November trifft sie aus Schlesien mit dem Breslauer Zug am Schlesischen Bahnhof ein, heute der Ostbahnhof. Man verfrachtet sie sofort zum Anhalter Bahnhof, wo in dem eleganten, heute nicht mehr existierenden Hotel Excelsior endlich der revolutionäre Spartakusbund gegründet wird und Aufgaben verteilt werden: Liebknecht Straßenagitation, Luxemburg Rote Fahne usw. Nun könnte man endlich loslegen, aber der fette Scherl-Verleger hat sich schon hinter Ebert gestellt und der läßt mit eigenen Soldaten die Revolutionäre rauswerfen. Erst am 18. November erscheint die RF Nr.3 unter der Redak­tion von Rosa Luxemburg.

Erst Ende Dezember schläft Rosa erstmals wieder zu Hause. Das kleine Journal, Königgrätzer Str. 40/41 wird zum Verlag der Roten Fahne. Heute ist das die Stresemannstraße, wo es wie in ganz Kreuzberg keine Erinnerungstafel an Rosa Luxemburg gibt.

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