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Aus: Ausgabe vom 18.05.2024, Seite 5 / Inland
Infrastruktur

Zerfallenes Land: Ein Brandenburger will eine Naturkatastrophe mit der Bundeswehr abwenden

Von Alexander Reich
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Faxen dicke: Matthias Rackwitz am Stauwerk mit eingekrachtem Brückenpfeiler (Mitte)

»Für euch ist das ein Witz«, meint Matthias Rackwitz am Ortseingang Staakmühle im Süden Brandenburgs. Wir sind in einer Sackgasse. »Bis zur Brücke frei« steht unter dem Schild. Um die Brücke geht es. Sie bricht zusammen, und niemand scheint das verhindern zu können. Weil unter der Brücke der Fluss Dahme gestaut wird, droht mit dem Einsturz eine Naturkatastrophe. Trotzdem gibt es seit Jahren kein Geld für eine auch nur notdürftige Reparatur. Für Rackwitz ist das der Zustand des ganzen Landes: »Alles am Ende. Nichts läuft mehr.«

So ist die Stimmung in der ostdeutschen Provinz. Staakmühle gibt da ein typisches Bild ab: zehn Häuser, zwei AfD-Plakate zur Kommunalwahl Anfang Juni – und mittendrin die seit 2017 gesperrte Brücke. Metertiefe Löcher machen die Verbindungsstraße unbefahrbar. Sie darf auch zu Fuß nicht mehr betreten werden, aber das ist den Leuten egal. Die Bauzäune, mit denen sie abgesperrt war, sind sperrangelweit geöffnet.

Unter der Brücke wird die Dahme auf vier Metern Höhe gestaut. Das Wasser rauscht. Am Ufer liegt ein erster Brückenpfeiler. Gut vorstellbar, dass die gemauerten Rundbögen des Stauwerks beim nächsten Starkregen von unterspülten Pfeilern »weggedonnert« werden, wie Rackwitz sagt. Er ist Naturschützer, Gartenbauingenieur und Kommunalpolitiker ohne Parteibuch. Lebt seit 50 Jahren in der Gegend. Für die Kulturlandschaft wäre die schlammige Flutwelle eine Katastrophe, meint er. Und in der »Steppenlandschaft« oberhalb des Damms liefe »auf Kilometer das Wasser ab«.

Damm und Brücke gehören einer kleinen Gemeinde, die genauso ruiniert ist. Es mangelt an allen Ecken und Enden, die Haushaltsführung ist seit Jahren vorläufig. Zuletzt konnte die Trinkwasserversorgung gerade noch sonderfinanziert werden. Für die Brücke und das Wehr könnten womöglich Gelder von Land, Bund oder EU beantragt werden. Aber wer weiß das schon? Jemanden damit zu beauftragen, es herauszubekommen, gibt die Gemeindekasse nicht her. Das gilt auch für eine neue Kostenschätzung. Als sich die Gemeinde sowas zuletzt leisten konnte, kam ein Ingenieurbüro auf 1,7 Millionen Euro. Das war anno 2006.

Seit ungefähr dieser Zeit plant das Landesumweltamt übrigens eine Fischtreppe, mit der die Dahme in Staakmühle »ökologisch durchgängig« gemacht werden soll. Hier sind die Planungen weit gediehen: EU-Millionen zur Stärkung von Bachmuschelpopulationen würden den Bau des Fischaufstiegs wohl jederzeit ermöglichen. Nur müsste dafür zunächst mal die Brücke saniert werden.

Seit sie gesperrt ist, fahren auch Rettungskräfte Umwege zwischen sieben und 20 Kilometern. Besonders trauern die Anwohner dem Schulbus hinterher, der die Kinder über die Dahme nach Halbe brachte. Wie zum Trotz hat die Regionale Verkehrsgesellschaft (RVS) an einer Haltestelle am Damm einen Busfahrplan aufhängen lassen, demzufolge zwei Linien nach wie vor über die Brücke fahren, Montag bis Freitag, »gültig ab 28. August 2023« – da war die Verbindung schon sechs Jahre gekappt.

Rackwitz nimmt das Ganze beispielhaft für den »Niedergang« des Landes. »Wir haben tausend oder zweitausend dieser Brückengeschichten in Deutschland. Das ist vielleicht die kleinste, aber nicht mal da funktioniert’s.« Der Staat sei in die Pleite getrieben, alle duckten sich immer nur weg. Er hat jetzt die Faxen dicke und fordert Soldaten an.

In der vergangenen Woche hat er sich an die Kurmark-Kaserne am anderen Ende des Naturparks gewendet: »Errichten Sie bitte eine temporäre Brücke und sichern Sie vor allem die Staustufe vor Dammbruch.« Das nötige Gerät stehe bei der Armee »im Moment einfach rum«, erklärt er an der Brückenruine. »Da kann man doch was mit machen.«

Rackwitz ist kein Militarist. Dazu würden auch seine bunt lackierten Fingernägel kaum passen. Donnerstags trifft man ihn meist bei der »Mahnwache für Frieden und Abrüstung Dahme-Spreewald«, gerade war die 95. Seine Anfrage an die Armee hat was von Spaßguerilla, aber: »Ich meine es völlig ernst«, sagt er, ohne zu lächeln. »Man muss so kindlich denken, weil: Alle komplizierten Sprachversuche mit ihnen scheitern ja genauso.«

Die Frage der jW nach den Erfolgsaussichten seines Vorstoßes beantwortet ein Oberstleutnant des Landeskommandos Brandenburg fristgemäß am Telefon: »Sind Sie ein bisschen fit in Amtshilfe?« Der Bürger müsse sich an die Verwaltung wenden. Nur die könne nach einer »Gefahrenanalyse« tätig werden: »Sonst könnte ja jeder« und so weiter. Später kommt dann auch die schriftliche Antwort: »Eine Antragstellung durch eine Einzelperson ist nicht vorgesehen.«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christel H. aus Aschersleben (18. Mai 2024 um 13:45 Uhr)
    Dieses Beispiel ist exemplarisch für die Bundesrepublik im Kleinen – nichts funktioniert mehr. Von den Verantwortlichen wird darauf gewartet, dass sich das Problem irgendwann und irgendwie von selbst löst. Abwarten und Tee trinken. Und auf jeden Fall die nächsten Wahlen überstehen, damit man dann mit einem hübschen Salär so weitermachen kann.

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