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Aus: Ausgabe vom 17.05.2024, Seite 5 / Inland
IG BAU

Streikübung am Bau

Erster bundesweiter Ausstand im Bauhauptgewerbe seit mehr als zwei Jahrzehnten. Ein Besuch im Berliner Streiklokal
Von Susanne Knütter
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»Wie soll das erst werden, wenn wir 3.000 sind?«: Streikende Bauarbeiter am Donnerstag in Berlin

Der Held an diesem Tag war der Angestellte einer Sicherheitsfirma, die Baucontainer vor dem Brandenburger Tor in Berlin zu bewachen hatte. Die Gewerkschaftsfunktionäre hatten gerade von der – dort stets anwesenden – Polizei die Erlaubnis bekommen, ein Foto vor dem symbolträchtigen Tor machen zu dürfen. Doch wie hinkommen? Der Pariser Platz war großflächig abgesperrt. Dann die spontane Solidarisierung des Security-Mannes mit den streikenden Bauarbeitern, indem er demonstrativ den Bauzaun öffnete, um die Kollegen durchzulassen. Jubel bei den Hoch-, Tief- und Straßenbauern, Aufregung bei der Bullerei. »Wie soll das erst werden, wenn wir 3.000 sind?«, fragte ein Kollege.

Am Donnerstag demonstrierten etwa 80 Bauarbeiter in Berlin-Mitte, nachdem die IG Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) in Berlin die Beschäftigten von sieben Baustellen und einem Unternehmen – der Strabag – zum Streik aufgerufen hatte. Bundesweit organisierte die Gewerkschaft in dieser Woche bisher in mindestens 30 Städten Arbeitsniederlegungen. Der letzte Streik auf dem Bau war 2007 in Schleswig-Holstein. Bundesweit im Ausstand waren die Bauleute das letzte Mal 2002, das vorletzte Mal in den 1950er Jahren. Grund dafür ist unter anderem ein Schlichtungsabkommen zwischen der IG Bau und dem Unternehmerverband. Demnach kommt es gleich zur Schlichtung, wenn sich die Tarifparteien nicht einigen können. In diesem Jahr lehnte die Kapitalseite das Schlichtungsergebnis ab, nachdem die Tarifkommission der Gewerkschaft – wenn auch »zähneknirschend«, wie Nikolaus Landgraf, Regionalleiter der IG BAU Berlin-Brandenburg gegenüber jW betonte – zugestimmt hatte. Jetzt steht alles wieder auf Anfang. Anstelle des Schlichtervorschlags von 250 Euro plus vier bis fünf Prozent nach elf Monaten fordert die IG BAU wieder 500 Euro für alle Lohngruppen.

Am Donnerstag wurde deutlich: Die IG BAU kann prinzipiell auf streikbereite Mitglieder setzen. Ins Streiklokal kamen auch Kollegen, deren Baustellen diesmal noch gar nicht zum Ausstand aufgerufen waren. Langjährige Gewerkschafter sagten gegenüber jW, sie seien auch in den zurückliegenden Tarifrunden zu Arbeitsniederlegungen bereit gewesen. Denn die Wut ist groß an diesem Tag, vor allem auch bei den jungen Bauarbeitern. »Wir arbeiten bei minus 15 Grad mit kalten, nassen Händen, und bei 30, 35, 40 Grad«, berichtete ein Strabag-Geselle gegenüber dieser Zeitung. »Bei Eis und Rutschgefahr sollen wir über Kunststoffrohre balancieren, unter dir fünf Meter Abgrund.« Es gibt Schlechtwetterregeln für solche Fälle. Aber bei hohem Termindruck werde regelmäßig dagegen verstoßen. Mit Folgen für die Arbeiter und die Qualität. »Wie oft haben wir im Regen vergossen und verschnitten«, sagte ein anderer Bauarbeiter, der für Fugen, Fräsen und Schneiden im Gleisbau zuständig ist. Kunsstoffugen dürfe man nur bis fünf Grad aufbringen. »Wird sich nicht dran gehalten«, wenn der Auftraggeber Druck macht.

Den Termindruck, den Bauunternehmen haben, will sich die Gewerkschaft in den kommenden Wochen zunutze machen und genau dort streiken, wo es besonders wehtut. Derzeit ist Hauptsaison im Bau, und Prämien im Millionenbereich winken, wenn Aufträge früher fertig werden. Das muss sie allerdings mit einer in Streikfragen noch unerfahrenen Mitgliederschaft schaffen. So ließen sich streikbereite Bauarbeiter einer Strabag-Baustelle am Berliner Westhafen am Donnerstag vom Bauleiter einschüchtern, der die Polizei rief, als ein Gewerkschaftssekretär die Baustelle betrat. Auch der Versuch von Gewerkschaftssekretär Hivzi Kalayci, für Freitag morgen eine Delegation von 20 Freiwilligen zusammenzustellen, um eine Schulbaustelle in Neunhagen, wo viele Subunternehmen werkeln, zu blockieren, fruchtete zunächst nicht. Ein Kollege grätschte rein und deutete an, dass es zu Rangeleien kommen könnte. Das kann passieren. Genauso gut könnte es aber auch zu einer spontanen Solidarisierung kommen – wie das Beispiel des Security-Arbeiters vor dem Brandenburger Tor gezeigt hat.

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