19.04.2024 / Feuilleton / Seite 11

Im Regen rosten

Lauter, härter, Stasi: Die Ausstellung »Heavy Metal in der DDR« im Museum der Berliner Kulturbrauerei

Hagen Bonn

Der Autor dieser Zeilen genoss das Privileg, die Blüte des klassischen Heavy Metal in der DDR miterlebt zu haben. Mein »härtester« Tag als »Metalhead« war immer samstags, wenn ich schon gegen Mittag (!) aufstehen musste, dann wurde ich zur häuslichen Fronarbeit gezwungen, bevor ich mein selbst erstelltes Protokoll zur Hand nehmen und DT 64 anschalten konnte. Der Sender war seit 1986 eigenständig und die Sendung »Tendenz Hard bis Heavy« sowie die zur Metal-Hitparade umfunktionierte »Beatkiste« trugen maßgeblich zur Popularisierung des Genres in der DDR bei.

Mein »Protokoll« erfasste akribisch die Namen der in der Metalstunde gespielten Bands, dazu die Hintergrundinformationen der Moderatoren Matthias Hopke und Jens Molle. Natürlich nahm ich alles auf Kassette auf. Mein Geracord-Rekorder 6010 war mein bester Kumpel in dieser Zeit. Nach der Sendung kamen die gelb-schwarz gestreifte Metalhose, die Lederjacke und die Weste (AC/DC-Aufnäher) an den Leib – und ab in die Metaldisco! Freilich musste zunächst das »normale« Publikum mit Madonna und Depeche Mode bedient werden, bevor es dann zur Sache ging: Berluc (DDR), AC/DC (Australien), Judas Priest (GB), Accept (BRD) und ZZ Top (USA). Ja, die harte Musik war ein internationales Phänomen. Nach drei Minuten war ich völlig durchgeschwitzt, aber niemals hätte ich meine Lederjacke ausgezogen. Der Papst zieht auch nicht während der Heiligen Messe seinen Pulli aus. Ich war jetzt so Metal, dass ich bei Regen rostete.

Nach knapp 40 Jahren wurde es also höchste Zeit, den »Heavy Metal in der DDR« mit einer Ausstellung zu würdigen. Das Museum in der Kulturbrauerei in Berlin-Mitte, das seit Jahren die Dauerausstellung »Alltag in der DDR« zeigt, eröffnete vor kurzem die Schau: »Lauter, härter, schneller – in den 1980er Jahren fasziniert Heavy Metal Jugendliche weltweit. Während im Westen Bands wie Metallica und Iron Maiden die Bühnen erobern, entwickelt sich in der DDR im Jahrzehnt vor Mauerfall und Wiedervereinigung eine ebenso energiegeladene Heavy-Metal-Szene, die sich am Westen orientiert und vom SED-Regime misstrauisch beäugt wird.«

So steht es im Eingangsbereich der Ausstellung. Die Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist freilich nur deshalb mit ihren Ausstellungen in Berlin-Mitte vor Ort, damit Worte wie »Wiedervereinigung«, »Mauerfall«, und »SED-Regime« inflationär unters Volk gebracht werden. Aber ein Wort übernimmt in der Ausstellung klar die Führung. Ja, wir ahnen es: »Stasi«. Gut, ich hatte vorsorglich meine Waffen (Hammer, Sichel, T-34) zu Hause gelassen … Die 180 Quadratmeter große Ausstellungsfläche ist gut bebildert, es gibt Hörbeispiele, Fanutensilien können bestaunt werden, auch die aktuellen Filminterviews mit Fans von damals (erstellt von der Zeitzeugenredaktion der Stiftung) sind interessant.

Aber: Wer einen Herzschrittmacher trägt, sollte die Texttafeln lieber nicht lesen. Auch vom Genuss von Kaffee nach dem Besuch ist aus medizinischen Gründen abzuraten. Die Metalszene, die in den Texten an der Wand beschrieben wird, habe ich so nicht kennengelernt. In der Ausstellung legt man auffällig Wert darauf, dass die Metalheads der DDR, so die Selbstbezeichnung der Fans, an sich apolitisch gewesen seien, durch ihr Auftreten indes auffällig und damit nicht systemkonform. So, so. Mit den langen Haaren und der Lederjacke seien sie im Prinzip ästhetische Extre­misten gewesen. Und wurden deshalb kritisch vom Staat, Verzeihung: Regime, »beäugt«. Da fällt mir noch ein, wie bei DT 64 all die Lieder gespielt wurden, die in der BRD verboten waren, wie Carnivores »God Is Dead«. Und zum Schluss etwas Aufklärung: Wer meint, Heavy Metal mache aggressiv, der hat mich noch nicht nach zehn Minuten Volksmusik gesehen.

»Heavy Metal in der DDR«, Museum in der Kulturbrauerei, bis 9. Februar 2025, Eintritt frei

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