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Aus: Ausgabe vom 16.05.2024, Seite 10 / Feuilleton
Esskultur

Darf man die abbrechen?

Neulich bei der Spaghetti-Ernte: Rachel Roddy erkundet die Welt der Pasta »von Alfabeto bis Ziti«
Von Robert Best
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Roddy merkt an, dass »Nahrungsmittel und Speisen, die von Analphabeten (der Mehrheit) zubereitet wurden, größtenteils gar nicht dokumentiert« sind

Die vor 50, 60 Jahren übliche westdeutsche Beleidigung italienischer Arbeiter als »Makkaronifresser« hat eine italienische neutrale Entsprechung. Wie man in Rachel Roddys Buch »Pasta – Von Alfabeto bis Ziti« unter M wie Maccheroni lernt, waren Menschen aus Neapel und Sizilien in Italien als »mangiamaccheroni«, als Maccheroni-Esser bekannt. Im deutschsprachigen Raum mit seinen Spätzle und Maultaschen dürfte das Auftauchen italienischer Pasta eigentlich kein allzu großer Kulturschock gewesen sein. Die BBC konnte den Engländern 1957 noch ein Video von der Spaghetti-Ernte im Tessin unterjubeln – immerhin am 1. April.

Heute würden sich die italienischen Nationalistinnen und Nationalisten wahrscheinlich darüber aufregen, dass der Film in der Schweiz spielt. In Sachen Pasta versteht man schon lange keinen Spaß mehr. Wellen geschlagen hat vor einiger Zeit etwa ein Streit darüber, ob das Originalrezept für Spaghetti Carbonara aus den USA oder aus Italien stammt.

Diese Art Hauen und Stechen ficht die in Rom lebende Britin Roddy nicht an. Sie interessiert sich für das Konkrete, etwa einen »Topf mit ›ragù bolognese‹, ziegelrot, der murmelnd mit sich selbst zu sprechen scheint«. Bis man eine locker blubbernde Soße sich selbst überlassen kann, ist in vielen Rezepten bei Roddy der entscheidende und fast schon dramatisch ausgeleuchtete Moment derjenige, in dem die Einzelteile mit Hilfe einer Zutat (wie Käse) oder einer Technik (wie dem Schwenken) miteinander verbunden werden.

Roddys Buch gehört aber nicht nur in die Küche (in jede Küche), sondern auch auf den Lesetisch. Mit großer Erzählfreude und Entdeckerlust begibt sich Roddy auf die Suche nach Formen, Geschichten und Rezepten. Sie nimmt normannische, griechische, jüdische und (besonders was gefüllte Nudeln wie Ravioli betrifft) arabische Einflüsse unter die Lupe. Sie beschreibt, wie die Geburt einer Prinzessin oder der Sieg in einer Kolonialschlacht Nudeln Namen und Formen gaben, ohne das weiter zu problematisieren. Herrschaftssymbole am Esstisch: kein Problem. Die Britinnen und Briten backen ja auch den »Krönungskuchen« nach, wenn ein neuer König ernannt wird. Aber was ist eigentlich alles überliefert? Roddy merkt an, dass »Nahrungsmittel und Speisen, die von Analphabeten (der Mehrheit) zubereitet wurden, größtenteils gar nicht dokumentiert« sind. Kochtraditionen werden oft und auf unterschiedliche Arten in der Familie weitergegeben und können »für Frauen manchmal eine Belastung darstellen, die das Vergnügen daran mindert, manchmal aber auch nicht«, wie Roddy am Beispiel einer Freundin aus Apulien zeigt, die gerne ohrenförmige Orecchiette isst, aber an der von Mutter und Großmutter gelehrten Zubereitung scheitert.

Meine Oma bricht Spaghetti und andere für ihren Geschmack zu lange Nudeln vor dem Kochen ohne mit der Wimper zu zucken in Stücke. Dass andere darüber die Nase rümpfen würden, ist ihr wahrscheinlich von Herzen egal. Zurecht, findet Roddy: »Sollte jemand je behaupten, es sei nicht akzeptabel, Spaghetti zu zerbrechen, dann verweisen Sie die Person höflich auf eins von den 1.064 regionalen ›minestra‹-Rezepten, in denen ›spaghetti spezzati‹, also in Stücke gebrochene Spaghetti, verlangt werden. Oder wechseln Sie einfach das Thema.« Trotz eines liebenswerten Hanges zum Raffinierten erscheint Roddy als Fürsprecherin eines pragmatischen und genussvollen Zugangs zum Mittag-, Abend- oder auch Mitternachtsessen. Sie nimmt Buchstabennudeln (Alfabeto) als ersten Eintrag in ihr Buch auf und plädiert dafür, Dosentomaten mit der Schere zu zerschneiden oder Fettuccine aus der Schüssel vor dem Fernseher zu essen.

Rachel Roddy: Pasta – Von Alfabeto bis Ziti. Verlag Antje Kunstmann, München 2023, 352 Seiten, 38 Euro

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